hor.de | Gedichtsammlung | Maria Luise Weissmann
Bücher über Rainer Maria Rilke
Die es anging, daß Rilke starb - es hätte alle angehen müssen - die haben in diesen beiden Jahren sich nicht mit seinem Tod vertraut machen können. Sie haben ihn erlitten als einen Verlust, der auf keine Weise auszugleichen oder zu verschmerzen war. Jene auch, denen es nicht beschieden war, von Rilke gekannt zu sein, stehen vor seinem Grab wie Hinterbliebene: stärkster Beweis für Rilkes Dichtertum, daß sie das Werk so wenig trösten kann. Denn immer ist der wahrhafte Dichter, wie überhaupt der schöpferische Mensch, zunächst einmal das Dasein, die Leibwerdung einer tiefen und magisch-wirksamen Kraft. Wo ihre Ausstrahlung erlischt, erlischt auch, uns heute doppelt fühlbar vor allem Gegengewichtigen, ein Vorgang der Beseelung, der Arbeit und Verwandlung am geistigen Gesicht der Zeit.
Von dieser Kraft, die Rilke ausströmte, reden drei Bücher Zeugnis, die ziemlich zu gleicher Zeit erschienen sind. Als erstes die Gedenkrede Stefan Zweigs (Abschied von Rilke, Tübingen, Rainer Wunderlich) in all der Unmittelbarkeit ihres ersten Ausdrucks, mit dem sie uns bezwang, als sie in der Gedächtnisfeier zu Ehren Rilkes im Staatstheater gehalten wurde. Sie rauscht empor als eine Klage um "das Göttliche, das selten erscheint in den Zeiten." Sie sagt Tiefstes aus über Rilkes Werk, aber sie sagt es demütig wie eine Geige, die nichts sein will als Dienst an einer großen und reinen Musik. Es ist das Erschütternde an dieser Totenklage, daß sie in einem letzten und höchsten Sinne unpersönlich ist: nicht klagt der große Dichter Stefan Zweig hier um den Tod eines Freundes, sondern das Dichterische selbst beweint den Zerfall seines reinsten und edelsten Gefäßes.
Das andere Buch über Rainer Maria Rilke hat die Niobe der Freundschaft, hat Lou Andreas-Salomé geschrieben (Leipzig, Insel-Verlag). Sie hat es geschrieben mit aller Schärfe ihres intuitiven Blickes für Gesetz und Ablauf seelisch-körperlicher Vorgänge und sie hat dieser Begabung Erfahrungen aus einer nahezu dreißigjährigen Freundschaft zur Seite gestellt. So kann es nicht wundernehmen, daß der von ihr "in eine neue Sichtbarkeit" Gebannte den Leser antritt in einer fast erschreckenden Deutlichkeit der Erscheinung. Erschreckend einmal, weil dieses Leben, solange Rilke es lebte, scheu vor aller nahen Sichtbarkeit gehütet blieb, und weil es außerdem so überhäuft von Qualen war, daß er mit einem Schauder "aber die Höllen..." Abschied nahm. Das "katastrophale Element des Schaffens und des Schaffenden" ist noch nie so schonungslos bloßgelegt worden wie in diesem Buch. Der Tasso-Zwiespalt, der "Verzicht auf eigenen Natur-Einklang" reißt zwischen Seele und Leib eine jährlich sich vertiefende Kluft. Die Kunst, die in den Duineser Elegien ins Unsägliche vordringt, gewinnt in Rilke eine Realität, die seinem Menschendasein den "letzten Fußbreit Raum" wegnimmt. Sein Tod erscheint als dieser Sturz ins Bodenlose, als eine letzte, furchtbar zwingende Konsequenz, die sich der Krankheit nur als eines äußeren Anlasses bedient. Gert Buchheit, der junge Pfälzer Dichter, leistet mit seinem Buch einen anerkennenswerten und ehrfürchtigen Dienst am Werke Rilkes (Rascher & Co., Zürich). Er vertritt jene Jugend, die in dem Dichter ihren geistigen Führer sah, aber vor seinem Willen zur Einsamkeit in Schweigen abseits stehen blieb. Es werden nun, nach seinem Tod, langsam ihre Bekenntnisse laut, und dieses Buch ist eines der schönsten. Buchheit hat mit einer bewunderungswürdigen Hingabe alles Beziehungsvolle aufzuspüren, das oft "vor Schwere Wankende" zu stützen und zu deuten sich bemüht. Er bekennt sich in seinem Vorwort zur Einsicht in die Gefahren eines Unterfangens, das seiner Natur nach dahin wirken muß, das "Einzigartig-Einheitliche des Werkes in Begriffe und Stimmungen aufzulösen." Buchheit hat darin, nach meinem Gefühl, zuweilen ein wenig zu viel getan. Wo aber, wie hier, eine starke Leidenschaft geliebte Züge nachtastete, da hinterläßt sie zuletzt doch eine vertiefte und leuchtende Spur.