hor.de | Gedichtsammlung | Maria Luise Weissmann
Aus einer Kindheit
[Fragment]
ICH HEISSE LUNA.
... Vorhin spielten wir Überfall. Wir bewohnen in Frieden das Gartenhaus, abgelegene Villa irgendwo, bis meinen Mann ein Telegramm zur Reise nötigt. Ich bleibe zurück mit den zwei Dienern, die zum Schutz mir überlassen sind. Die Gegend sei unsicher und die Reise könne lange dauern, hat mein Mann beim Abschied mit einem Lächeln gesagt, das ich leise in meinen Haarwurzeln spüre. Nachts liege ich fünf Minuten auf der Holzbank und denke an dieses Lächeln, während draußen der Kies knirscht, der Park unendlich sich breitet. In der dritten Nacht dann geschieht es. Ich höre wieder den Kies, dann knacken Zweige, ein Stoß öffnet die Tür, eh ich noch meine Diener geweckt habe, die in einer Ecke aneinander gelehnt unwahrscheinlich laut schnarchen. Georg in seinem umgewendeten Matrosenkittel ist entsetzlich, wie er mit Geheul zur Tür herein auf mich stürzt. Die Diener entsinnen sich ihrer Pflicht und heben zögernd den Arm. Aber schon zuckt der hölzerne Dolch in Georgs brauner Faust nach ihnen, nach mir: im Vollbringen noch dieser blitzschnellen Bewegung, die sich nur entfernt nach der Richtung unserer Körper wendet, hat er, unterbrochen von satanischem Triumphgeheul, ein-, zwei-, dreimal gerufen: futsch! - futsch! - futsch! -
Wir alle wissen, was das bedeutet. Gestern, als die eiserne Reckstange haarscharf neben mir zu Boden schlug, war Georg vom andern Ende des Hofes, wo er für seine Radieschen, die zu langsam gediehen, eine unterirdische Heizung anlegte - war Georg herbeigelaufen, hatte die Sachlage überschaut und gesagt: "Beinah wärst Du jetzt futsch."
Hatte ich etwas gekränkt das eingestehen müssen, - heute war es eine andere Sache, schien mir. Abgesehen davon, daß insgeheim ich gehofft hatte, mit Hilfe der Übermacht den einzelnen Gegner zurückzuschlagen, daß ich mich gefreut hatte, dem heimkehrenden Gatten Wunder von unserem Mut (oder der Feigheit des Angreifers?) zu erzählen, - abgesehen von diesem allen war es kläglich, so auf ein Wort hin lautlos tot zu sein.
Ich schlage die Augen auf und stoße den neben mir liegenden Leichnam an. Er rührt sich nicht, doch Georg, eben bemüht mit Beute aus unserm Hausrat die Taschen zu füllen, wirft mir einen drohenden Blick zu. "Du bist tot" sagt er.
Ich werde lebendig, richte mich auf. Ich rufe: "Ich bin nur verwundet!" Aber Georg kniet schon über mir, ich fühle die Spitze des Dolches auf meiner Kehle.
Ich denke, daß ich jetzt tot sein müsse, aber ich bin empört. Ich stehe auf, ich rufe: es gilt nicht. Ich war gar nicht verwundet. Und meine Diener erwachen und sagen: "Wir sind nicht futsch." Georg unterbricht seine Tätigkeit nicht. Er spricht kein Wort. Er stopft nur weiter seine Taschen voll und ich sehe, wie sie, nach außen gekehrt, bedenklich anschwellen. Gretel, der Diener, Georgs sorgsame Schwester sonst, warnt: "Du zerreißt deine Taschen." Georg findet kein Wort.
Die Diener gehen achselzuckend davon. Zwischen Bäumen noch leuchten ihre bunten Schürzen, nun gleichen sie Riesenschmetterlingen, dann sind sie verschwunden. Die Zweige schließen sich, zittern noch, aber es kann der Wind sein, der sie bewegt. Ich glaube plötzlich bestimmt, daß nur der Wind sie bewegt. Das macht mich traurig, und...
Georg redet noch immer nicht. Wenn er mich anschaut, sieht er durch mich hindurch, er sieht durch das Fenster, vor dem ich sitze, in seinen Augen spiegeln sich Bäume und Himmel.
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In einer Kirche hängt das Bild des heiligen Sebastian. Ich habe vergessen, wo die Kirche steht, ob sie an diesem oder einem fremden Ort erbaut wurde, durch den ich flüchtig gekommen bin. Es mußte Abend gewesen sein damals als ich sie betrat, so sehr habe ich sie vergessen, ihren Turm, die Form der Fenster und ihres Schiffes.
Manchmal suche ich in der Erinnerung den Weg zu finden. Straßen, die ich gegangen bin, Plätze, die ich überqueren mußte, Häuser, an denen ich vorüberkam - aber es will mir nicht gelingen. Immer sehe ich schon das Bild, um dessentwillen ich aufgebrochen bin.
Hinter dem Altar hängt es in einer Nische, sehr dunkel. Aber durch die gelbe Krone der Jungfrau im Glasfenster trifft ein Lichtstrahl das blasse Gesicht des Heiligen und streift noch das gekräuselte Fell des Lammes und die sanfte Mähne des Tigers, die zu Füßen ihm schmiegen.
Wenn meine Augen sich an das Dunkel gewöhnt haben, erkenne ich alle Einzelheiten dieser Malerei, die mit vollendeter Sorgfalt ausgeführt ist. Die Blätter des Baumes, dessen Krone die Breite der Fläche erfüllt, sind von gleichmäßigem Oval, nach einer Richtung gewendet, als ob sanfter Lufthauch sie dorthin zöge, wo im Hintergrund zur Seite die Stadt auf runden Hügeln sich breitet.
Aber der Blick reißt unhaltsam sich los, zurückgetragen von der fallenden Welle des Laubes zum Stamm, dem glatten runden Stamm, der genau in der Mitte die Bildfläche teilt und den Sebastian fast ganz mit seinem Leibe deckt. Und hier begibt sich allein der Schmerz dieses Bildes, der so groß ist, daß ich es, das ich nie mehr sehen werde, nicht vergessen kann: Sebastian, in diesem sanften Gewog der Linien, das noch die Erde ergriffen und zu einem leichten Rund gestaltet hat, Sebastian hat den schmalen Kopf geneigt: in der Schräge des Winkels, den dieses gesenkte Haupt mit der Linie des Stammes bildet, ruht die unendliche Schwermut, die abendlich mich wieder überschattet.
Nie habe ich Sebastian ins Gesicht gesehen.
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Wenn es regnet, sitzen wir aneinander gekauert im Gartenhaus, durch dessen holzbedecktes Dach ein großer Tropfen tickt, regelmäßig wie eine Uhr. Wir sitzen auf einem Sack in der Mitte des Bodens, von den hölzernen Bänken trieft Feuchtigkeit. Die Luft ist warm und naß, draußen atmen hörbar die Bäume und Sträucher, sie neigen sich unter _dem Aufprall der Tropfen. Wenn ein großes starkes Blatt getroffen wird, der üppige Zweig des Rhododendron oder das Laub der Agave, zerstäubt nach oben ein feuchter Strahl. Ich habe versucht mit der Hand ihn aufzufangen, doch das Geräusch meiner zum Fenster gewandten Schritte war Lärm in einer großen Stille. Nun muß ich nachdenken, wo diese Stille liegt, da doch um mich die Zweige und Blätter unendlich flüstern und von dem kleinen Strom, der jetzt auf dem Kiesweg rinnt und über die Treppe stürzt, lautes Gerede ist - ich möchte nachdenken, vielleicht auch schlafen zur Melodie der kleinen Wasseruhr, die noch immer nicht abgelaufen ist, doch Georg sagt:
"Ich habe gesehen: der Blitz schlug in die Leitung. Neben der Haustür lief er am Draht herunter. Er war wie ein feuriges Eichhörnchen."
Und Trudl antwortet ein wenig im singenden Fall der Tropfen: "Es war ein großes Gewitter. So groß wie damals als immerwährend die Glocke an unsrer Tür ging und Niemand stand davor."
Georg sagt: "Im Winter: Die Gewitter im Winter sind selten. Als unsere Schneeburg fortgeschwemmt wurde, weißt du," und ich wende vom Goldregen, der vor dem Fenster seine gelben Dolden verströmt - noch die Tropfen, die zur Erde sollen, tragen Schimmer - ich wende Georg den Kopf zu und sage "oh" -
"Wir hätten das Dach mit Brettern decken sollen," sagt Georg. "Dann wären die Mauern geschützt gewesen. Statt dessen hat der Schnee, der oben auf den Tannenzweigen schmolz und dann heruntertropfte, sie mürb gemacht. Und der Lampion..."
Aber erst feierten wir das große Fest. Es war noch kalt und wir hatten die Burg so groß gebaut, daß wir alle und Gerhardt und Fritz drin stehen konnten. Wir waren Lappen und trugen bunte Tücher. Herbert das Renntier, der über weiten Schnee den Schlitten zog. Dieser Schnee auf den Ebenen der Felder! Er war hart, daß man die Spur unserer Füße nicht sah, die ihm vertraut war wie die der Hasen und Krähen. Er war blau, wie war er blau unter der Sonne des Mittags und rötlich, eh sie erlosch! Aber Georg hat noch gesprochen: "Am zweiten Tag, als wir nach Hause kamen, Seehund und Eisbär im Schlitten unter den Tannenzweigen, das Renntier keuchend vor der Last unsrer Beute, fanden wir dich: zugedeckt vom Schnee des Daches, verschüttet vom weißen Gewicht der Mauern und dem Lampion mit der roten Kerze. Nur deine Zöpfe sah man und deinen Fuß unter der Latte des Türpfostens. Wir hatten große Angst."
Ich habe die Augen geschlossen wie damals. Ich weiß es genau, wie ich allein zurückblieb in der weißen Hütte, kauernd auf dem Wolfsfell, das wir vom Schreibtisch geraubt hatten, und auf das nun von der Decke langsam große Tropfen fallen. Ich kann mich so genau erinnern, daß ich noch das dumpfe Aufschlagen der Tropfen höre, in denen der Schnee von der Decke schmilzt. Die Jungens hatten gesagt, man könne Weiber auf der Jagd nicht brauchen, die nach Eisbären ging und Walrossen. Ich solle Tee kochen und einen Seehund braten, bis sie zurückkämen. Ich sehe ihnen nach, wie sie lärmend davon ziehen, den weiten Ebenen entgegen, die blau sind unter dem kühlen Strahl der Sonne. Ich sehe sie deutlich, so scharf den klaren Schatten der Pappel, daß ich nicht den Umschlag der Witterung bedenke, der schon vom Morgen dieses Tages an den Schnee weich und wässrig gemacht hat, daß der Fuß bis über den Knöchel einsinkt. Ich liege auf dem Wolfsfell und denke an den Lärm und die Abenteuer der Jagd und sehe wie langsam das bunte Licht des Lampions näher kommt, ich höre ein Gleiten, das Brechen einer Stange auch, dann schlagen Nässe und spitze Tannennadeln mir ins Gesicht, ich bin begraben in einer feuchten weichen Masse, ich bin verschüttet von den einstürzenden Quadern des Schnees. Es wird ganz weiß und still. Warum spricht eine Stimme in meine Versunkenheit? Bin ich nicht abgeschlossen von allem Lärm in diese kühle Blässe auf meinen Augen?
Die Stimme sagt: "Es hat aufgehört zu regnen."
Wir laufen über den nassen Kies der großen Pfütze zu, die jeder Regen in der Mitte des Hofes sammelt.
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Ich habe Georg gefragt, warum er mich Luna nennt. Er weiß es nicht und ich sitze jetzt abends hoch oben auf dem Balken des Turmgerüstes und lasse meine kleine Laterne aus blauem Glas hinableuchten, einsam.
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Heute war ich der liebe Gott. Ich ging ganz langsam an einem großen Stab über den Kiesweg, an dem die bunten Astern stehen.
Ich sah sie: weiße Sterne, blasse Schwestern in schmalem Reigen, zerfranzte Blüten, aus dunklem Lila und Rot entblößend das gelbe Mal ihres Leibs in Verlangen. Blätter wie Moos von der Farbe der Rosen und blaue Blumen in kühler Fremde. Bleiche, vergilbt vor ratloser Sehnsucht.
Manchmal hebe ich meinen Stab, dann liegt eine Blüte gebrochen vor meinen Füßen. Oder sie neigt sich zur Seite, gleitet am Stengel hinab, bleibt hängen dann, eine traurige Fahne.
Ich weiß es, daß, ich gerecht sein muß. Ich finde sie, die verborgen sind, klein, über der Erde kaum, eng ins Blattwerk geschmiegt. Strahlende beuge ich tief, ich bin Gott, selbst vor meinen Lieblingen, weißen Zwergastern, die in Sträußen wachsen, treffe die Süßeste noch, blassen Schmetterling, der tot zur Erde taumelt.
An der roten Bank in der Mitte halte ich ein. Ich bin müde; ist Gott nicht ein alter Mann mit einem langen weißen Bart? Ich möchte weinen. Aber ich weiß' nicht, ob ich das tun darf.
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An dem Weg, der in die Stadt führt, liegt das Haus. Es ist aus dunkeln, Backsteinen in schönem Rot erbaut und bis ans Dach von wildem Wein überwachsen. Im Garten der Rasen ist samten, zweimal in jeder Woche fährt der Gärtner mit einer Maschine über ihn, wie die, mit der man unsere Teppiche reinigt. So lange steht das Rad still, das sonst in der Mitte sich dreht und Wasserstrahlen über große und seltsame Blüten wirft.
So oft wir auf dem Schulweg vorüberkommen, habe ich Fragen an Papa. Gestern schlugen die englischen Riesen. doggen an, als vor ihrem Verschlag mein Schritt einen Augenblick stockte. "Du hast gesagt, Papa, daß wir in dieses Haus gezogen wären, wenn nicht der wilde Wein so dunkel machte. Aber Jens Frik meinte neulich, daß dort die Hunde mit kleinen Kindern gefüttert werden."
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Ich möchte eine Katze sein, eine Angorakatze mit langen weißen Haaren und blauen Augen wie Saphirmosaik. Mein Schwanz wäre buschig wie der des Eichhorns, vor meiner Haustür säße ich blinzelnd in der Sonne. Dann wieder trügen meine Pfoten mich samten, silbern böge ich um die Ecken nachts.
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Ich taste nach der Wand meines Bettes und richte mich (halb) empor. Aber mein Kopf ist nur mühselig vorwärtszubewegen, weil ich ihn gegen die schwarze Mauer schiebe, die vor mir ist. Um mich herum tönt eine summende Musik.
Meine Mutter sagt - und es wird ganz still -: daß es Nacht ist und daß ich schlafen müsse.
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Später, da so vieles schon durchschaubar wurde, blieb doch noch dieses Haus, unergründlich, geheimnisvoll wie zu Beginn die Welt. Es lag vor der Stadt, der Schulweg führte daran vorbei, wo ansteigend die Straße den Bahndamm überschnitt. Den Winkel zwischen beiden füllte der Garten aus: ein Garten, wie ihn die Kleinstadt sonst nicht kennt. Der Rasen, geschoren wie ein Teppich, smaragdgrün, lodernd, wenn rings die Blätter schon unter der Glut des Sommers blichen. Ein Rad, auf einem Stab befestigt, drehte, wasserstäubend, sich mit einem winzigen Geräusch und im Schutz dieses gläsern schwingenden Schleiers gedieh eine tropische Welt: kleine Palmen in Kübeln, der steife Gummibaum mit seinen Blättern, die an lackiertes Blech-Spielzeug erinnerten, und anderes, dem Kind unnennbares Gewächs.
Das Haus hielt seine Fensterläden wie eigensinnige Augen geschlossen. Wilder Wein überhing es. In der drückendsten Hitze des Sommers stand selten ein einzelnes Fenster offen: es führte in eine tiefe Dunkelheit, aus der die Stimme eines Papageis verwunschen und bösartig rief. Abends leuchtete aus dem Gewirr der Blätterranken über dem Tor die Laterne mit der Zahl sieben, groß und unerklärlich bedeutungsvoll, sodaß wir Kinder die kleine Anhöhe vor dem Hause, im Winter uns als Schlittenbahn nicht zu entbehren, den "Berg zur goldnen Sieben" nannten, mit aller Ehrfurcht eines frühen Staunens vor dem Heiligtum von Anhöhe und Zahl, die er in sich begriff.
Das kindliche Interesse, das dem Hause galt, erfuhr dann immer, wenn es einmal für Wochen besänftigt schien, eine neue und leidenschaftliche Herausforderung. Ein nächtlicher Nachhauseweg etwa mit den Eltern: Aus jeder Ritze der wie stets mit Rolljalousien verschlossnen Fenster strömte Licht. Das Haus schien innen ein einziger unmäßig erhellter und strahlender Raum zu sein: eine fremde und seltsame Musik durchschwebte ihn. Im Garten wanderten geschmeidig die Schatten großer Tiere auf und ab: die riesenhaften und schon am Tage fürchterlichen Doggen, die fürchterlicher in unsern Träumen wiederkehrten.
In jeder Woche einmal fiel morgens eine Schulstunde für mich aus, von der mir Befreiung erwirkt war. Ich ging den Nachhauseweg wie stets über den "Berg zur Sieben". Der Wagen eines bekannten Arztes hielt vor der Tür. Er hielt nach einer Woche um dieselbe Stunde auf derselben Stelle und er stand alle künftigen Wochen dort. Mein grenzenloses Mitleid wandte sich dem Wesen zu, das, durch Monate krank, in diesen dunkeln Zimmern ein dunkles Dasein führen mußte, allein vielleicht auf die Gesellschaft des Papageis und seine fremde Sprache angewiesen, die nicht trösten konnte. Mein Mitleid sah sich nach Teilnahme um. "Es wird eine alte Frau sein," sagte man mir, "die ein ständiges Leiden hat. Das muß nicht wehe tun. Sie ist vielleicht nur ängstlich und verwöhnt!"
- Und ich beklagte sie künftig allein. An einem Morgen stand statt der Kutsche des Arztes ein großes und auffallend elegantes Auto vor der Türe. Der Chauffeur, in Leder vermummt, starrte reglos geradeaus. Auf dem Trittbrett bog, in einem noch für mein kindliches Auge wundervoll in die Bewegung des Gehens und Verweilens geteilten Schwung der Bewegung ein junger Mann sich zurück, elegant wie sein Auto, mit einem lächelnden und ein wenig erhitzten Gesicht, das an die Jungensgesichter meiner Spielkameraden erinnerte, wenn sie aus ihren Zelten mit Geschrei auf den Kriegspfad zogen. Und vor dem Trittbrett stand, mit hochgereckten Armen, die winzig und zerbrechlich in den Himmel griffen, eine Frau, eine Prinzessin, eine Fee, entschied ich mich, denn sie trug goldene Schuhe und etwas wie ein Stückchen Schleier anstelle eines Kleides. Ihr langes Haar floß märchenhaft und tragisch an ihr hinab. Sie starrte mit einem sehnsüchtigen Lächeln... Ich wäre gerne stehn geblieben vor diesem Bild, das schöner und geheimnisvoller war als alle Bilder meiner Märchenbücher. Ich wußte nicht, was mich, gesenkten Blickes, trieb zu gehn.
Dann ist mir noch ein Sommer-Nachmittag in der Erinnerung, kurz ehe wir die Stadt verließen. Ich schlich nach Hause, müde und von der Hitze matt. Im Garten schnitt ein junger Mann, ähnlich dem, der die Prinzessin damals verlassen hatte, in mächtigen Büscheln Flieder, üppigen Flieder von einer Farbenpracht, wie es sonst keinen gab. Ich sah ihm sehnsüchtig zu. Und dann hob auch ich meine winzigen und zerbrechlichen Arme zum Himmel, denn eine ganze Flut der blühenden, der betäubenden Dolden flog zu mir herüber. Ich ging nach Hause, überströmt von einer wunderbaren Flut, von der ich hoffte, sie würde über alle Zimmer sich verteilen. Aber man steckte die Zweige in einen einzigen großen Kübel und da stand nun dieser gewaltige Strauß, auf sich verwiesen, fremd in seinem unerhörten Geleucht und wie verfehmt von einer Art geheimer Verachtung, für die ich keine Erklärung fand.