hor.de | Gedichtsammlung | Maria Luise Weissmann
Otto Heuschele
In Memoriam
Ich sehe Dich mit Inbrunst, großes Licht,
Geleucht der Weite, Glanz aus tausend Fernen,
Wo Du verbleichst, kehrt unter blinden Sternen
In Dunkel das erloschene Gesicht.
Noch war der Schmerz in unserer Seele, noch war die Wunde, die der tragische Tod Hugo von Hofmannsthals in unser Herz geschlagen hatte, nicht geschlossen, (wird es sich je schließen können?) da brachte an einem dunklen Novembermorgen die Post zwischen anderen Briefen die erschütternde Nachricht vom Tode dieser jungen Frau, dieser gültigen Dichterin.
Wir fragen uns bei jedem Raub, den der Tod aus der Reihe der uns Nächsten nimmt, erneut nach dem Geheimnis seines Waltens. Immer bleibt uns indessen nur ein dunkles Nicht-Wissen-Dürfen, ein demütiges Uns-FügenMüssen. Doppelt schwer wird es uns aber in jenen Fällen, da er einen seltenen, einen nichtalltäglichen Menschen aus der Fülle seiner Lebenskraft, in der Blüte seiner Lebens-Schönheit, gleichsam hinterlistig und auf Schleichwegen, fortstahl, so als ob wir des Geraubten nicht bedürften. Wir wollen uns nicht zufrieden geben und in das Gedächtnis, das wir in unserer Seele diesen Jungverstorbenen weihen, mischt sich immer die Bitternis des Gefühls das uns sagen möchte: Hier ist der Erde, hier ist den Menschen ein Unrecht widerfahren. So wollen wir auch den Tod Maria Luise Weissmanns noch immer nicht begreifen; wir wollen wider die Sinnlosigkeit des Schicksals uns erheben. Aber solches Rechten bliebe fruchtloses Bemühen und so suchen wir denn ihr Gedächtnis in den Seelen der Menschen wach zu halten. Denn das haben diese jungen Toten allen voraus, daß sie schon gleichsam mit dem Augenblick, da sie der Erde und ihren Gesetzen entrückt werden für uns Menschen ein neues, ein Sternendasein beginnen. Wir, die wir mit dieser Frau gleichzeitig leben durften, die ihr Werk empfangen und als ein schönes und edles im Dichterischen ehren und lieben konnten, die wir erschüttert waren von ihrer seelenvollen Schönheit ebenso wie von der Seelenhaftigkeit ihres Wesens, die sich in ihren Dichtungen offenbarte; denken ihrer als einer solcherweise unter die Sterne Gerufenen.
Vier schmale, kostbar gedruckte Bändchen liegen vor mir: "Das Frühe Fest" (enthaltend die Gedichte aus den Jahren 1918/1920); "Robinson" (eine Dichtung in lyrischen Zyklen); eine Übertragung von sechs Sonetten Verlaines überschrieben "Les Amies" und endlich sechs eigene, sehr vollkommen gebildete Sonette: "Mit einer kleinen Sammlung von Kakteen" betitelt. Zu diesen Büchern fügen' sich eine Handvoll sehr gültiger Gedichte, die ich selbst in einer Anthologie herausgab. Es kommen dazu ein paar wundervolle Briefe, die ich von der Hand der jungen Toten empfing, ein schöner Essay: "Die Bettina und Goethe", den ich aus den Münchner Neuesten Nachrichten ausgeschnitten zwischen den Briefen liegend finde. Das sind neben einem Bilde, auf dem die Züge der jungen überaus schönen Frau festgehalten sind, die Reliquien, die ich von der Toten bewahre. Es sind keine toten Dinge, die vor mir liegen. Es spricht viel Leben aus allem und was diese Frau in den zehn Jahren ihres schöpferischen Lebens geben durfte, das trägt, wenn nicht die Züge der Reife und des Vollkommenen, so doch überall Züge, die auf solch Reifes und Vollkommenes hindeuten.
Sie mag von Rainer Maria Rilke oder von Hugo von Hofmannsthal beeinflußt sein, was ist damit anderes ausgesagt als eine Tatsache, die sie sehr ehrt. Was sie geschaffen, zeigt uns eine Frau, wandernd auf dem Weg zum Leben, zum Geheimnis des Lebens, zu seiner Wurzel, zu seiner Seele und seiner Schönheit. Ihre Gedichte, bildhaft und musikalisch, sind Gleichnisse des Daseins. Sie greifen über die Grenze des Sichtbaren ins Unsichtbare, ins Traumhafte, Jenseitige, ins Reich der Ungeborenen wie in das des Todes. Es berührt uns merkwürdig dieser so innige und frühe Umgang mit dem Tode. Aber der Tod scheint mit zu ihrem Leben gehört zu haben. Und der Tod, der sie so frühe, in der Blüte des Lebens, hinwegnahm, war ohne Zweifel schon frühe in ihr wie in einer Wohnung, denn alles was uns im Äußeren widerfährt, widerfuhr uns früher schon im Innern. Ihre Gedichte sind sehr zart und still, innig aber nicht weich, sie sind so stark, daß sie sich tief in uns einprägen. Ich weiß, daß Viele, die sie lasen sie lange noch in sich trugen, und solches scheint mir der schönste Beweis für die Kraft, die einem Gedichteten innewohnt: daß ein Gedicht gerne und willig in uns wohnen bleibt. Sie sind, um ein einziges Wort für sie zu wählen, schlechthin schön. Das sagt heute vielleicht zu wenig, aber wer an den unverderbten Sprach. gebrauch dieses Wortes zu denken vermag, dem sagt es viel. Das, was diese Zeit und ihre laute unvornehme Oberfläche bewegt, finden wir nicht in ihnen, denn diese Dichterin trug eine vornehme Seele in sich mit, der sich das unvornehme Treiben dieser Gegenwart nicht zusammenfinden konnte. Wer indessen in diese Gedichte hineinhört, wer ihre innere Melodie vernimmt, wem die Bilder lebendig werden, der erkennt, daß sie nicht aus leerem Raum, sondern aus diesem Leben wuchsen, daß die inneren Nöte, die die Seelenmenschen dieser Epoche für alle leiden müssen, daß das Leid der Zeit wie das Glück der Zeit, das der Einzelne und nie die Masse trägt, daß das alles in die Gedichte dieser zarten Frau einging. Der merkwürdigste und eigenste Zug, der den Versen ihren dunklen Glanz gibt, scheint mir der zum Mythischen, zum Zeitlosen, zu den Ur-Mächten. Er bildet den dunkelglühenden Untergrund der Robinson-Dichtung, er zieht sich wie ein Leitmotiv durch die letzten Gedichte, die mir in die Hand kamen, wie das besonders tiefe, das sie "Auszug der Tiere" benennt, oder das merkwürdig-ergreifende "Der wandernde Stab", das in die Strophe ausklingt:
Mißhör die Sehnsucht nicht,
Die um dich brennt,
Mensch, faß ein Ding und geh
Ihm nach und stills und führs zu seinem End.
Es wäre schwer noch Einzelnes und Besonderes zu nennen, man wird die kostbaren Bändchen immer wieder in die Hand nehmen und die zarte Kraft verspüren, die von den Dichtungen dieser Frau ausgeht, denn es ist eine wirkliche, eine Seelenkraft in ihnen.
Mir war sie neben der Ruth Schaumann eine der schönsten Hoffnungen unserer neueren Frauendichtung. Beider Art war sich in manchem verwandt, vor allem in der Lauterkeit des Gefühls und der Sprache, in der Sehnsucht nach einer tiefen, religiösen Schönheit, wie ja das religiöse Erlebnis, wenn auch in verschiedener Gestalt sich äußernd, das Grunderlebnis beider Frauen war.
Sie ward uns entrissen. Früh, allzufrühe! Wir werden sie nicht verlieren, das Leuchten der zeitlosen Schönheit, das über ihrem Angesicht lag, das aus ihren ergreifenden Augen strahlte, ebenso wie die Schönheit und das reife Wissen ihrer frühen Gedichte, in denen ihre Seele sich sammelte, so daß sie in dieser einmaligen Form und Gestalt vor uns stehen. Es war eine adelige Seele, die sie in sich trug und ihr Werk trägt die Züge dieses SeelenAdels, den wir hoch über allen Adel zu stellen gelernt haben. So denken wir dankend ihrer als einer innigen, stillen, tröstlichen Erscheinung die uns vom Schicksal gegeben wurde, nicht daß wir sie behalten, sondern, daß wir sie, wie alle Göttergeschenke, hingeben.