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Selber singen

In Neukölln ist Musik. Sommers schwappt sie aus den Fenstern. So ist die Stadt in den ärmeren Gegenden: man wird beschallt. Und vieles mischt sich. Ein Pärchen geht unter meinem Fenster vorbei. Zu dem, was gegenüber klingt, sagt sie: Hör, unser Lied. Schon gehört, weiß aber nicht. Fort sind sie, weiter tönt es, hier ein Bass, da ein Pfiff. Freien, Freizeit, Rhythmen der Arbeitswelt. Unser Lied? Das darf man bloß mieten. Wir haben keine Lieder, die meisten nicht. Um die Ecke wohnt ein Mädchen von etwa 13 Jahren. Die singt eigene Lieder. Warum man in der Schule fies zu ihr ist. Ob ihr Schwarm sie liebt. Was Mama beim Einkauf vergaß. Eigene Melodien. Keine hohe Kunst, aber ihrs. Sie singt nur selten in unserer Straße. Einmal stand ich eine Stunde unter ihrem Fenster. Treffe ich sie, grüße ich, als würden wir uns in der Sahara begegnen. Ich dachte immer, sie weiß nicht warum. Aber sie weiß. Gestern fragte sie, ob ich eine Aufnahme will.