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Nie wieder allein
Polizisten
Was immer Sie im Internet ansehen, lesen, hören, nachschlagen: Ihr Zugangsprovider ist gesetzlich verpflichtet, Verbindungsdaten zu speichern und den Ermittlungsbehörden bei Bedarf zu überlassen.
Die bloße Behauptung einer Urheberechtsverletzung, einer Straftat usw. kann zur Beschlagnahmung Ihres Computers führen. Staatsanwaltschaften stehen dann evtl. Jahre Ihres E-Mail-Wechsels zur Einsicht zur Verfügung. Ihr eigener Computer arbeitet als Beweissammelmaschine gegen Sie.
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Ihre Kinder verabreden per E-Mail einen Bankraub mit ihren Freunden. Da sie erst zehn Jahre alt sind, führen sie diesen Vorsatz natürlich nicht aus. Als Ihr Computer von der Polizei sichergestellt wird, weil Sie bei einer Tauschbörse Ihre Lieblingsfolge der Harald-Schmidt-Show herunter geladen haben, geraten Sie ins Visier des Raubdezernats.
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Techniker
Eine Website, auf die Sie zufällig stoßen, kann illegale, kriminelle Inhalte verbreiten. Sobald Sie sie auf Ihrem Monitor sehen, haben sie Ihren Computer erreicht, befinden sich in Ihrem Browser-Cache, auf Ihrer Festplatte. Dort stößt dann die PC-Werkstatt Ihres Vertrauens auf z.B. arabische Texte und erstattet Anzeige.
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Sie geraten auf eine Website, die Bezugsadressen verschiedener Drogen enthält. Noch nachdem diese Site von der Polizei aus dem Verkehr gezogen wurde, befindet sich die Liste im Zwischenspeicher Ihres Internet Explorers. Da geht Ihr Computer kaputt. Sie können den Cache nicht mehr leeren und auch sonst nichts mehr löschen. Bauen Sie die Festplatte aus und vernichten sie oder bringen Sie das ganze Gerät zur Reparatur?
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Anwälte
Im Internet gilt jede noch so private oder persönliche Äußerung als Veröffentlichung. Jedes unbedachte Wort kann fremde Rechte verletzen. Denn Kunst und Wissen sind stets Eigentum. Zitieren Sie nicht aus Ihrem Lieblingsgedicht, zeigen Sie keinen Stadtplan Ihres Urlaubsortes. All das sind Verletzungen fremder Eigentums- und Verwertungsrechte. Im günstigsten Fall werden Sie kostenpflichtig abgemahnt und zur Unterlassung verpflichtet.
Selbstverständlich hilft das Internet auch illegale Software zu identifizieren.
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Hundert Millionen Euro hat der Bundestag für seine Plakataktion 'Kauft, Leute kauft!' ausgegeben. Steuergelder. Da ärgert es Sie herauszufinden, dass das Logo der Kampagne beim Minigolfturnier Palermo abgekupfert wurden ist. Zum Beweis zeigen Sie Fotos beider Logos in Ihrem Weblog. Wer muss was zahlen? Sie: Lizenz- und Anwaltsgebühren.
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In den kommenden Jahren wird die Automatisierung des Abmahnwesens Millionen Menschen in diese Kostenfalle führen.
Arbeitgeber
Jede Äußerung in Online-Foren, im Usenet, auf Websites kann noch nach Jahren lückenlos recherchiert werden. Bitte beachten Sie, dass Ihre künftigen Arbeitgeber dies ausgiebig nutzen werden. Anbieter, die kommerziell Kandidatenprofile aus Internetspuren erstellen, werden heute nur für die Besetzung von Spitzenpositionen hinzugezogen. Auch hier entsteht durch die Automatisierung jedoch ein Massenmarkt. Wundern Sie sich nicht, wenn den Personalabteilungen Ihre sexuellen Vorlieben bekannt sind.
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In Ihrem Lieblingsforum erzählt jemand er habe sich den AEG-Staubsauger Maxomat gekauft und sei schwer enttäuscht. Auch Sie hatten früher einmal Ärger mit diesem Gerät und schimpfen nun ein wenig auf die AEG. Sie vergessen die Sache und bewerben sich bei der AEG. Das Web-Archiv hat es nicht vergessen.
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Oder
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Sie schreiben in gleich zwei offenen Foren, dass Sie nicht für ein Verbot von Scientology sind. Schon bei der nächsten Bewerbung merken Sie, dass Sie das hätten lassen sollen. Aber was Sie auch tun, Sie werden die Netzspuren des Verdachts Ihrer Verbindung zu Scientology nicht mehr los.
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Erpresser
Während Ihr Zugangsprovider Ihre Verbindungsdaten speichert, speichern Pornoanbieter u.a. die Protokolle Ihrer Seitenabrufe. Bringt man nur die Daten einer großen Pornosite und eines großen Providers zusammen, sind bereits Serienerpressungen von Hundertausenden möglich. Früher oder später wird es jeden erwischen - da man zu den Pornoanbietern auch unabsichtlich gelangt.
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Manchmal haben Sie sich schon heimlich Pornos im Internet angeschaut. Damals, als es noch kostenlose Previews gab. Dumm, dass Herr Meier, der zu dieser Zeit Techniker bei Sexyline war und nun für Ihren Internet-Provider arbeitet, sich die alten Server-Logs auf CD gebrannt hat und sie zum Spaß mal vergleicht mit dem Verbindungsdatenarchiv beim neuen Arbeitgeber. Dumm erst recht, dass die Freundin des Herrn Meier dringend Geld braucht.
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Feinde
Was Sie online nicht selbst tun, können andere für Sie erledigen, auch Menschen, die Ihnen übel gesonnen sind, z.B. unter Ihrem Namen allerlei Unfug stiften. Solange dabei nicht direkt behauptet wird, dass Sie es sind, sondern man sich das nur denkt, finden Sie nie heraus, wer das war. Denn so mächtige Werkzeuge das Internet den Geheimdiensten, der Polizei und den Konzernen liefert, so ohnmächtig sind Sie.
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Nicht Sie, sondern jemand anders, vielleicht Ihr Untermieter, tritt unter Ihrem üblichen Alias, mit Worten, wie Sie sie wählen würden, für Apple Computer ein, wo Sie sich doch gerade bei Microsoft bewerben. Mit jedem Dementi bringen Sie 'Ihr' Lob des Macintosh bei Google weiter nach vorn. Und wenn Sie den Mac nun scharf tadeln, haben Sie eine Klage von Apple am Hals.
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Selbstverständlich können Sie via Internet bequem einkaufen. Dafür zahlen Sie an Ihren Computerhändler, Ihren Internetprovider, die GEZ und die genutzten Dienste. Jede weitere Nutzung des Internet wird Ihnen früher oder später weitere Kosten, Abmahnungen und Verfolgungen einbringen. Sicher. Wirklich gefährlich wird es, rückwirkend, falls Sie sich in nichtdemokratisches Ausland begeben oder sich die politischen Verhältnisse Ihres Heimatlandes ändern.
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In Ihrer Jugend haben Sie sich über die Unterdrückung von Frauen im Iran aufgeregt. An Ihre Tageszeitung schrieben Sie darüber einen Leserbrief. Sie freuen sich, dass er auf der Website der Zeitung erscheint. Jahre später werden Sie bei einem Zwischenstopp auf dem Flughafen Teheran wegen dieser Beleidigung des Landes stundenlang verhört.
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Glauben Sie nicht, Sie täten nichts Unrechtes. Was Recht ist und was Unrecht, das bestimmen andere. Irgendwann.
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Und sobald digital und vernetzt gewählt wird, wird es Menschen geben, die wissen, wer wen gewählt hat - und Maschinen, die bei Bedarf Listen ausdrucken.
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Internet
macht Spaß und hilft Zeit totzuschlagen. Vergessen Sie nicht, dass die Rechnung kommt.
Sicherer sind Sie, wenn Sie fremde Computer benutzen, z.B. im Internetcafé oder in der Bibliothek.
Alle Welt sieht, was Sie mit Ihrem Computer tun. Und da man viel tun kann mit Computern, sind die lockeren Zeiten vorbei.
Sie sehen nicht, wofür andere Ihre Daten nutzen. Und weil Sie das nicht sehen, fühlen Sie sich frei.
Sie fotografieren mobil und speichern die Bilder bei Flickr.com (aber warum sind darauf öfter kleine Jungs in kurzen Hosen zu sehen?), Ihre Bookmarks verwaltet del.icio.us für Sie (und manche fragen sich, was Sie denn an der Band interessiert hat, die kürzlich im Fernsehen Nazis lobte), in Ihr Blog schreiben Sie von einer netten Begegnung im Café (wo Ihr Chef Sie doch beim Arzt vermutet) und...? Genau. Keine Sorge. Aufmerksamkeit ist die Münze unserer Zeit, nicht Anonymität. Weil wir uns viel zu sagen haben.
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