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Kurz aufrichten
Im Frühling lockt plötzlich die Sonne. Wir wollen raus, wir wollen wahres Leben. Dann sinken die Leserzahlen im Internet, die Blogger bloggen weniger und selbst bei Twitter zwitscherts leiser. Man steht im Grün und wärmt sich, frisches Leben zieht durch alle Poren ein. Wie konnte man nur eben noch mit Wörtern, Bildern, elektrisch Ausgedachtem so zufrieden sein? Den Stubenhocker will das bald verdrießen, er bleibt allein und grübelt, tippt und wundert sich, warum das Fenster nun auf einmal über seinen Bildschirm siegt, er macht sich größer, doch man sieht ihn nicht. Bald steht er auf und geht hinaus und weiß es dann.
Und eine Amsel ruft. Er steht und lauscht und schaut. Finanzkrise? Und Marsmission? Bischöfe, die irgendetwas sagen? Was geht das ihn an? Dass dieser Amselmann ein Weib begeistert, darauf kommt es an. Soll er es twittern? Was läge ihm daran? Dann lockt das erste Schokoladeneis, die Kinder rennen kreischend in den Wald, die böse Hexe aus dem Nachbarhaus grüßt unvermutet nett - dann ist es Abend, er schaltet den Computer an und ist enttäuscht. Man kennt das schon. Es hält nur ein paar Tage an. Man hat sich an das große Leben schnell gewöhnt. Dann scheint es, wie es sein soll, wieder klein. Man ist daheim.
Erfinde du doch der Drossel ein neues Lied
ein anderes Licht für die Nächte der Liebenden
Friedrich Hagen