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Köpenicker Post-Gespräch

Ich bin nicht postmodern. Ich schon nicht mehr. Als ich zur Welt kam,
Achtundzwanzig, schon da war die Moderne passè.

Peter Hacks
 

I.: Die Postmoderne ist Kritik der Moderne und die Kritik der Moderne entstand mit der Moderne. Die Fabrik war Kritik der Renaissance, der Nationalismus dann Kritik der Fabrik. Das steht alles in Les Fleurs du Mal. Dann Hitler und Stalin, die beiden duldeten keine Kritik.

S.: Post passt. Der Kritik ist der Gegenstand abhanden gekommen. Diese Rolle übernimmt das Subjekt mit. Selbstkritik, -verbesserung, -kontrolle. Faschismus billiger. Man sieht es den Menschenrechten an, Projekt der Moderne, nun Wort, das Beutezüge rechtfertigen kann.

E.: Wir wollen Visionen, die nehmen wir aus der Geschichte, die frühe Moderne aus der Attischen Demokratie, die späte aus dem römischen Imperium, es folgt das Mittelalter, die neobarbarische Vision, die heute begeistert, ihre Fackel ist das World Trade Center 2001.

 

Post-Köpenicker Gewalt

Mit der Kopie der Gewalt und ihrer Rechtfertigung beginnt die neue Zeit,
die ganz im Sinn der alten alle Gewalt abschaffen will, d.h. alle Gewalt der Gegenseite.

Friedrich Hacker
 

Ich bin müde von der langen Seelenbinderstraße, steige in die S-Bahn ein. Hinten schimpft ein Mann: "Halts Maul, Schlampe." "Dreckige Fotze." Das geht eine Weile laut. Nervt. Ein älterer Herr greift ein, heller Anzug, schmales Gesicht, schmale Hände: "Lassen Sie die Dame in Ruhe." - "Verpiss dich, du Arsch." Ostkreuz, Endstation, alle strömen raus. Der Pöbler, vierzig, riesig, Bauch, hebt die Faust, stößt auf das Gesicht des Alten. Blitzartig tritt der zu, unter das Knie. Der Große fällt. Und sogleich fällt sie ihn. Zierlich, einssechzig, Anfang zwanzig, Punk. Noch schneller, ich seh nicht, wie. Beide am Boden. "Schluss, Scheißkerle." Ich stehe und glotze. Sie sieht mich, hält mir die Flasche hin. "Schluck Cola?" Ich trinke verblüfft, das tut gut. Ich gebe die Flasche zurück. Der Alte rappelt sich, schaut kritisch auf mich, klopft den Anzug, verschwindet murmelnd: "Was mische ich mich ein." Sie starrt den Kerl am Boden drohend an, der windet sich: "Nicht schlagen." Da nimmt die Flut der Menschen mich mit fort. Ich weiß, ich hätte mir längst etwas zu trinken besorgen sollen.

 


Fragt dich jemand, was für ein Beruf es dir gestatte,
ein so erfreuliches Leben zu führen, so antworte ihm:

"Der Ihre."             [Walter Serner: Letzte Lockerung]