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Wohlstand heißt jetzt Frohsinn[1]

1.

Wenn ihr Menschen der Zukunft aber mir eine besondere Freude machen wollt, so versucht die wichtigsten Künstler euerer Zeit zu erkennen.
Kurt Schwitters[2]

Zu den wenigen heute bekannten Werken des Bürgers und Idioten Kurt Schwitters zählt die Sonate in Urlauten. Man lacht deutsch und weiß warum. Er klebte vorauseilend selbst ein falsches Etikett auf, Urlaute finden sich keine darin. Gut zehn Jahre arbeitete Schwitters an dem Vortragstext, u.a. zur Freude seiner Freunde, die sie wieder und wieder hören durften, die Ursonate. Und nach ihrer Fertigstellung liebte er sie sehr und übte weiter seinen Vortrag. So auch auf der Insel Hjertøya im norwegischen Molde-Fjord, wo Schwitters seine Sommerferien verbrachte. Dort hörten die Vögel ihm zu.

1997 reiste der Künstler Wolfgang Müller nach Norwegen, um auf den Spuren Schwitters zu wandeln. Auf solche Ideen kommen ja viele Menschen. Müller war der Richtige - er kannte sich aus mit Vogelstimmen. Und so hörte er, was die Stare zwitscherten: die Sonate in Urlauten.

Ein Beleg des Eindrucks der Kunst auf die Natur. Natürlich wollte Müller das Urgezwitscher auf Band festhalten. Und tat das auch.

Drei Jahre später präsentierte Müller seine Aufnahmen zusammen mit Fotos von Schwitters' Hütte und der netten Insel in einer Berliner Galerie unter dem Titel "Hausmusik, Stare auf Hjertøya singen Kurt Schwitters." Die Ursonate der Stare war als CD zu haben. Davon erfuhr die Presse und somit die Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, die für den DuMont Verlag die Rechte am Werk von Kurt Schwitters vermarktet, und wurde in Sachen Urheberrechte prompt bei Müller vorstellig. Das Internet-Magazin Telepolis berichtete amüsiert darüber.[3]

Das deutsche Urheberrecht schützt die Rechtsansprüche aus allerlei Werken 70 Jahre über den Tod des Urhebers hinaus. Kurt Schwitters starb 1948; sein Werk gilt somit erst 2018 als "gemeinfrei." Damit ist dem Warencharakter u.a. der Kunstwerke Rechnung getragen und den Künstlern die Möglichkeit gegeben, aus der Verwertung ihrer Werke ein Einkommen zu erzielen. Eine Grundbedingung des Kunstmarktes.

 Gurkenscheiben, zerschnitten und neu zusammengefügt. Absolute Poesie gelingt nicht dem Genie, nicht dem Zufall, nicht dem automatischen Schreiben und keinem Computerprogramm. Sie kann nur von den tippenden Affen geschaffen werden.

Die Stare singen umsonst. Müller möchte seinen Fund so mitteilen, dass er die Reisekosten wieder hereinbekommt. Und der DuMont Verlag erstrebt die Rendite einer früheren Investition. Um Kurt Schwitters, den Kunstmarkt und das Einkommen drehen sich die folgenden Überlegungen. Aber sie zielen auf anderes: auf die Frage nämlich, ob es kostenlose Kunst geben kann. Ob man sie analog dem Satz "was Manifest ist, ist kein Kunstwerk, was Natur ist, ist keine Kunst" mit etwa "Das ist kostenlos und somit keine Kunst" erledigen könnte.

Eine kleine private Umfrage unter befreundeten Künstlern zeigte mir, dass viele spontan einer solchen Aussage zustimmen.[4] "Ein Künstler dagegen ist ein Mann, der das verkauft, was er malt"[5], erzählte schon Picasso. Das erkennbare Argument - kostenlose Kunst nimmt am Kunstmarkt gar nicht teil - nannte keiner. Nur fragt sich, ob Kunst nur dann Kunst ist, wenn sie am Kunstmarkt erscheint. Das tun ja z.B. langfristig in Sammlungen liegende Werke nicht.

Notizen 1. Seine Majestät, der Kunde

Einst rief mich eine Dame an und sagte "Herr Escher, ich bin fasziniert von Ihrem Werk. In Ihrem 'Blau Reptilien' haben Sie schlagend die Reinkarnation dargestellt." Ich antwortete, "Madame, wenn Sie das darin sehen, wird es wohl stimmen." Maurits Cornelis Escher, zit. n. Bruno Ernst

Niemand weiß, was es ist, das Schöne, Wahre und Gute. Was meinten die Alten damit? Erkenne dich selbst, hieß es, dann werde man schon alles wissen.

Wir gehen ins Kino, wir leiden mit einem verliebten Paar; als sie zueinander nicht kommen können, weinen wir, fassen uns an den Händen, als sie sich schließlich finden, jubeln unsere Herzen und wir küssen uns einverständig. Neunzig Minuten zu acht Euro.

Wir kennen diese Bilder. Das rote Haus, vor dem sie sich trennen, wird niederbrennen, in einem anderen Film. Wir kennen die Schauspieler, wissen, wie sie als einsamer Held an sich zweifeln oder als fiese Ganovin Menschen erschießen. Ein Spiel. Wir reden darüber.

Wir hätten uns nicht küssen müssen. Wir wollten das tun. Das haben wir mitgekauft. Manchmal ärgern wir uns. Über Herkules zum Beispiel und den erhobenen Zeigefinger, mit dem er alles brav erfüllt, was ihm aufgetragen wird. Gib dem Kaiser was des Kaisers ist. Wozu eigentlich? Weg mit der Moral.

Wir reden darüber. Manchmal fällt uns nichts ein. Dann wissen wir nicht. Oder wir sind irritiert. Sagen zu können, was uns irritiert, ist schon sehr gut. Eine erhebende Erfahrung. Sind wir doch keine Kühe, käuen nicht bloß wieder. Oft ist es einfach langweilig. Gehen wir.

Manchmal sind wir fassungslos. Oder wir würden am liebsten in die Leinwand springen und eingreifen. Manchmal kommen wir aus dem Kino und wissen, dass etwas falsch läuft in unserem Leben. Oder dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Kino kann auch ganz anders sein. Wir können mit dem Film, den anderen im Saal, mit der Geschichte und ihren Bildern, mit der Musik zusammenstoßen. Wie wenn zwei Autos aufeinander rasen. Man hält das Steuer und kann nichts tun. Das war es. Der letzte Augenblick. Er kann ewig dauern und ist doch nach Sekunden vorüber.

Das Kino erreicht das selten, für viele Menschen offenbar nie. Ein zufällig aufgesogener Geruch am Wegesrand kann es öfter. Das passiert einfach so. Wir gehen und plötzlich sind wir woanders. Wir kennen diesen Geruch, da war doch ...

Man kann dann nachvollziehen, dass Menschen ernsthaft glauben, Außerirdische hätten sie in ihre fliegende Blechbüchse entführt und wieder zurückgeworfen. Sie haben eben diese Bilder, diese Sprache.

Mein Film, sagt der Regisseur, will die Menschen da abholen, wo sie sind, ihnen eine kleine Flucht aus dem Alltag verkaufen, sie für eine Stunde in ein Reich der Fantasie entführen, ihnen eine Pause gönnen. Eine Pause, die sie nutzen können innezuhalten, sich zu besinnen ...

("Wem im Leben alles schief geht, der hat das Recht, sich in die heile Welt eines Horrorromans zu flüchten"[6], sagt Donald Duck.)

Nach dem Film gehen wir noch schön essen. Ein stimmungsvolles Restaurant mit verzauberndem Ambiente. Auch die Küche ist gut. Das duftet und schmeckt. Ein wenig stört der Duft der Bienenwachskerzen. Wir sprechen über den Film und andere Filme.

Kino ist so mächtig, dass wir beinahe nichts mehr zu tun brauchen. Allerdings haben wir die kleine Pause meist schon. Wir wählen das Kino aus einer Vielzahl von Angeboten. Nächste Woche gehen wir ins Theater. Theater ist irgendwie lebendiger - danach gehen wir in eine Stehkneipe, wo im Gespräch die Fetzen fliegen.

Am Wochenende drehen wir selbst einen Film. Wir geben kaum Geld aus, fahren zum Zoo, tollen herum und filmen die Gesichter der Tiere, wenn sie uns anschauen. Am Computer wird daraus ein lustiger Kurzfilm geschnitten. Später sprechen wir den Ton - was uns gerade einfällt. Das macht Spaß. Auf dem Bildschirm entdecken wir einen Pickel, den wir zuvor nicht bemerkt hatten.

2.

Was hat der Kunstmarkt damit zu schaffen, ob etwas Kunst ist? Was erscheint am Kunstmarkt? Unbestritten bleibt die Möglichkeit individueller Kunsterfahrung. Aber der Einzelne ist allein. Das Gespräch über Kunst erfordert eine Einigung, spätestens dann, wenn es um Wertungen geht. Nun lassen sich Äußerungen und Wertungen von Werken der Künste durchaus auf der Übereinkunft kunsttheoretischer Annahmen oder eines alltäglichen Umgangs mit Kunst, dem common sense, treffen. Die stehen stets zur Disposition, sind nicht unstrittig.[7] An ihre Stelle tritt der Markt, an dem die Geltung eines Künstlers und der Wert eines Werkes ausgehandelt wird. Der einzelne Künstler tritt dabei am Markt als Marke auf, oft nicht persönlich, sondern vertreten durch berufsmäßige Kunstmittler. Die Werke erscheinen als Emmanationen der Marke und werden entsprechend bewertet. Das hat den für Laien verblüffenden Effekt, dass ein Pinselstrich von Picasso "mehr wert" sein kann als das gelungene Ölgemälde eines unbekannten Künstlers - funktioniert aber einigermaßen.

In Deutschland und vielen anderen "westlich" geprägten Nationen ist der Kunstmarkt jedoch durch gesellschaftliche Konventionen und politische Einflüsse stark eingeschränkt - ist kein gewöhnlicher, freier Markt. Das reicht von der inhaltlichen Beschränkung auf einen Kanon gewohnter Werkformen durch die Marktteilnehmer über die Rahmenbedingungen des Marktes, die etwa durch Richtlinien der Verteilung öffentlicher Mittel[8], Steuerbegünstigungen oder das Urheberrecht mitgestaltet werden, bis hin zu Intervention des Staates durch Großkäufe[9] oder zu lenkender Kunstpolitik. Eine weitere Rolle spielen Interessenvertretungen der verschiedenen Künstler und ihrer Vermarkter.[10]

Die Kunstmärkte - es gibt eine ganze Menge davon - sind somit einer gewissen demokratischen Kontrolle unterzogen - u.a. Diskursen über eine Standortbestimmung von Kunst. Die sind recht komplex. So ist es keineswegs einfach, Konzertveranstaltungen, Tonaufnahmen singender Stare, Theatervorstellungen, Gedichte, Radierungen, Fotomontagen, Höhlenmalereien, Romane usw. unter einem Begriff zusammenzubringen. Der Gesetzgeber spricht dabei von Film, Wort, Bild und Ton. Gesucht werden allen Künsten gemeinsame Eigenschaften, die einen Kunstbegriff stützen, den man dann einsetzen kann, wenn es heißt, der Staat solle die Kunst fördern, die Jugend solle in der Kunst unterwiesen werden usw.

Eine der gefundenen Gemeinsamkeiten[11] ist die Zweckfreiheit[12] der Kunst. Ob wir einen Roman lesen, eine Ballett-Vorführung besuchen, ein Gedicht vortragen oder eine Klaviersonate von einer Musikkassette hören - immer habe das, heißt es, keinen Zweck. Es soll nicht unserer Karriere, noch unseren Flirterfolgen dienen, uns nicht belehren, nicht ausbilden - nur erbauen.[13] Früher durfte die Kunst uns gar bis zur Ekstase erheben, doch das gilt mittlerweile als krank und ist der Psychiatrie[14] übergeben.

Die Erbauung als Kunstzweck ist, wo die Kunst zwecklos sein soll, noch zu viel. Sie kann zu leicht mit der bloßen Unterhaltung verwechselt werden. Darum wird sie heute weniger als selbst wirkender Vorgang, mehr als Freiraum[15] beschrieben, in dem sich dann irgendwas ereignen kann. Der Kunstgenuss löst uns aus unseren alltäglichen Zusammenhängen und verschafft uns daraus eine kleine Pause, die nicht gleich wieder gestopft werden soll durch die Pausenfüller der Unterhaltungsindustrie. Die kleine Pause erfordert die vollkommene Zweckfreiheit, also eine Kunst, die von uns nichts will.[16] Dazu ein kleines Beispiel aus dem Literaturbetrieb:

"Das Gedicht ist der Korridor, durch den das Denken, eine Weile lang von der Welt abgelenkt, zurückschleicht zum Ort des Verbrechens, der Reue, des Begehrens, der Angst und Bewunderung, der ersten und letzten Sensation"[17], schreibt der Lyriker Durs Grünbein. Was lenkt nicht alles ab. Was kann man nicht alles machen in der Pause. - Was uns noch fehlt, sind Kurse im 'Kreativen Kunsterleben' an den Volkshochschulen.

Notizen 2. Danach das schöne Gespräch

Yes, he's certainly very tremendous in terms of his talking and moving and gesturing and being an actor in general, in fact, in terms of his acting I would say...
Monty Python, Tim the Enchanter

Wir schlagen die Zeitung auf. Es ist Samstag, die Zeit der schönen Dinge. Eine Wohnung, ein Auto, einen Job haben wir schon. Erste Sportnachrichten gab es gestern im Fernsehen.[18] Wir lesen noch mal nach, da war was los! Und dann gibt es Kultur. Wir lesen: bla bla. Unglaublich, was einem da geboten wird. So viele leere Sätze.

Wir versuchen 200 Zeilen zusammenzufassen. Die Malerin will in der Nachfolge Kurt Schwitters' die Begriffe des Schönen, Wahren und Guten wieder mit Sinn erfüllen. Kurt Schwitters? War das nicht Hannover-Dada? Der Mann mit der Ursonate und der Anna Blume, der Maler, der nagelte und klebte, der Inhaber einer Firma für Drucksachengestaltung? Wo sah der denn Sinn?

Wir werden so was nicht mehr lesen. Reden über Kunst ist unerträglich. Wir kennen die Sprache der Kindergärtnerinnen, was sie sagen und was sie meinen. Wieder und wieder sollen wir lesen, was wir schon wissen, oder gleich nichts. Ich fasse den Schmu darum zusammen:

Kunst und feinsinnige Erkenntnis aus dem Feuilleton des Jahres 2003[19]

Wenn wir, was unser Körper spürt, im Augenblick deuten, ist es schön.
Schönes empfinden wir, wenn wir es nicht glauben wollen.
Schön ist es, sich beim Schauen zuzusehen.
Schöner ist das Schauen im Gesicht des Geliebten.

Das Empfinden und Deuten von Eindrücken heißt Seele.
Im gemeinsamen Auslegen entsteht Kunst.
Kunst ist unbeschreiblich schön für das Gefühl.
Wenn Kunst genossen wird, hört sie auf Kunst zu sein.

Kunst zeigt eine eigene Welt, die es gar nicht gibt.
Sie beruht auf Bekenntnissen.
Sie erfüllt das Bedürfnis nach Stil.
Kunst ist stets frisch, wenn man sie gut gelernt hat.

Kunst will nichts als Ware sein,
bleibende Kunst, die nicht gleich kaputt geht.
Kunst ist gut, wenn sie nichts im Schilde führt.
Kunst ist nicht mehr Kunst, wenn sie nichts kostet.

Alte Kunst wird von Kunsthandwerkern gemacht.
Heutige Künstler sind krank, aber ihre Kunst ist nicht ansteckend.
Kunst ist selbständig durch die Beliebigkeit der schönen Dinge.
Kunst zeigt uns, dass wir alle allein sind.

Computer können keine Kunst schaffen.
Außerirdische können Künstler sein, wenn sie menschlich sind.
Kunst kommt von außen jungfräulich herein.
Kunst ist die Spannung zwischen Theaterbillet und Vorführung.

Kunst muss beharrlich erörtert werden.
Kunst kann man nicht kennen.
Wer von Kunst etwas will, kann sie nicht sehen.
Ohne Draußen und Drinnen darf man nichts sagen.

Hier wird nicht wirklich schöngeistig gedacht. Nicht schön. Anstatt nichts zu wollen, nichts zu erwarten, zu zeigen, dass man nicht weiß, Hoffnung auf spätere Funde zu machen, das, was unaufhörlich gepredigt wird, die kleine Pause, gibt es den Pausenfüller. Wieder und wieder. Ab- und umgeschrieben. Und das ist langweilig.

Auch der Gang in die Universitätsbibliothek hilft bestenfalls vereinzelt weiter. Gleich begegnen einem 500 Seiten über die Notwendigkeit der Unbeschreiblichkeit von Kunst. Dann erfahren wir, dass Werbung keine Kunst ist, weil sie nicht unbeschreiblich ist. Dann die Definitionen von Kunst, nach Jahrhunderten aufgeräumt. Dann, dass wir uns beliebig viele Welten kaufen können in Gestalt von Bildern, Romanen, Sinfonien oder Pasteten. Jeder nach seiner Art. Dann, dass man in der Kunst assoziativ denke, statt linear, aber auch, dass das sowieso immer so sei. Dann, dass die Kunst völlig verstiegen sei und ihre attraktivsten Werke in afrikanischen Stammesriten verwendet werden. Dann folgen Aufzählungen all der guten Wirkungen der Kunst in Sachen Gesellschaft, Gesundheit, Bildung und Willensfreiheit. Dann, dass Kunst notwendig nutzlos sei. Dann gewaltige Kataloge, die das Nutzlose nach Art der Nutzlosigkeit artig sortieren. Dann Kritiken dieser Ordnungen. Immer wieder die Aufforderung an die Kollegen, mal über den Tellerrand zu schauen. Zum Beispiel sei Werbung doch Kunst.

Sprechen wir unter uns, erzählen wir, was die Kunst mit uns macht. Wir vergleichen mit früheren Erfahrungen, vergleichen Werke untereinander - und schnell bemerken wir, dass wir anfangen zu reden wie die, die wir nicht mehr lesen wollten. Wir vergewissern uns, dass wir das Gleiche gesehen, gehört oder erschnuppert haben wie die anderen. Wenn das nicht so ist, sagen wir, jeder habe seinen eigenen Geschmack. Wir glauben heimlich, der Kaiser habe in Wirklichkeit doch etwas an.

 Die Schere des Schneiders schneidet zu. Der Kollagist schneidet zurecht. Die Lüge dient der Wahrheit, sagt Picasso. Der Teufel hingegen weiß Lüge und Wahrheit zu mischen.

3.

Auch als kleine Pause stößt die Zweckfreiheit auf einigen Widerstand. Da wäre zum Einen die persönliche Erfahrung schier aller Kunstkonsumenten, dass sie sich keineswegs grundlos für oder gegen diesen oder jenen Kunstgenuss entscheiden. Von der Psychoanalyse (die aber die Ekstase noch im Gepäck hat) kann man sich einschlägig weiter belehren lassen. Von der CDU in Mannheim auch, die dichtete: "Sport dient der Gesundheit, ist Fitness-Training und spornt zu Höchstleistung an. Kunst und Kultur ist gestalterisch-kreative Auseinandersetzung mit unserer Umwelt und deren Lebenswirklichkeit. Alle drei sind sie aber auch Unterhaltung und Freizeitgestaltung. Entsprechend brauchen wir "bundesligafähige" Sportstätten und Kulturinstitute ..."[20] Zum Zweiten haben wir es mit den Einwänden ambitionierterer Künstler zu tun, denen die kleine Pause als Ziel ihres Werkes zu wenig wäre. Zum Dritten mit Einwänden der Moral, dass so die große Macht der Künste doch arg verschwendet würde. Mit Moral darf man Kunst jedoch nicht kommen - das wäre ja eine andere "Werksphäre."[21]

Der ärgste Verdacht gegen die Zweckfreiheit kommt von der Seite derer, die die Künste verharmlost sehen. Nutzt nix, schad't nix, wird keiner verhaftet. Unter Gewaltregimes kommt dem eine andere Bedeutung zu als in demokratischen Konsumgesellschaften.[22] Gestützt werden soll der Argwohn durch die Beobachtung, dass gerade in Krisenzeiten, gerade unter schweren Bedingungen Werke entstehen, die die Menschen über ihre Zeit hinaus bewegen. Das stimmt so aber nur eingeschränkt: denn es entstehen nicht nur Werke der politischen Kunst, sondern auch "nutzlose", und der Ruf nach Autonomie der Kunst und Zweckfreiheit - ja geradezu nach betont unpolitischer Kunst wird lauter. In Zeiten des Schreckens wollen die Menschen lachen. Umgekehrt scheint in satten Jahren Politik nicht so wichtig.

Ein weiterer Einwand betrifft den Verkauf der Kunst, die Professionalität des Künstlers. Der Verkauf der Werke zur Einkommenserzielung scheint offenbar ein Zweck. "Die Kunst geht nach Brot", meinte z.B. Lessing. Werke einem Publikum zu verkaufen, das weiß, was es sich gönnen möchte und warum, hat nicht viel von Freiheit an sich. Besonders dann nicht, wenn man Kunstschaffen und Kunstgenuss, wie es häufig geschieht, in bezug auf den (angeblich fehlenden) Nutzwert einem Spiel vergleicht. Längst etwa ist das Land überzogen von psychologischen Beratungsstellen, die Menschen zur Seite stehen, die ihren Alltag nicht mehr bewältigen, da sie jede Zeit einem Computerspiel widmen.

Die zweckfreie Kunst ist daher nicht von allen Zwecken frei, sondern von weiteren Zwecken. Stets verfolgt sie den Hauptzweck ihrer Gattung, das Publikum nach ihrer Art zu erbauen, darf ein Weiteres drüber hinaus sollen, sonst nichts. Vor allem keine Ideologie, keinen moralischen oder Bildungsanspruch. Damit ist die zweckfreie Kunst für viele Menschen, wie für Kurt Schwitters, unpolitische Kunst.[23] Aus einem Missverständnis heraus: Politische Kunst gilt entweder als eine andere Form von Reklame, die parteipolitische Aussage transportiert, oder als eine, die mit Etiketten solcher Aussagen beklebt ist.

Wenn Schwitters sich gegen eine wirken wollende Kunst ausspricht, meint er das nicht wirklich. Denn seine Kunst soll ja ebenso wirken, erquicken z.B. Die kleine Pause zaubern. Wo er von wirkender Kunst spricht, sieht er Agitprop & Co. Ähnlich geht es etwa Hans Magnus Enzensberger, der zwar den Tipp gibt, "dass die politische Poesie ihr Ziel verfehlt, wenn sie es direkt ansteuert. Die Politik muss gleichsam durch die Ritzen zwischen den Worten eindringen, hinter dem Rücken des Autors von selbst"[24], der aber damit zu verstehen gibt, dass ihm die Politik das Kunstschaffen verdirbt, wenn er sich ihrer bewusst ist. Majakowski gibt uns in seiner Skizze "So macht man Verse"[25] andere Auskünfte, zeigt die Möglichkeit z.B. einer Lyrik, die in der Gesellschaft wirken will ohne Botschaften aufzusagen. Oder man schlägt bei Pindar nach. Seine Götter sind leicht durch Zeitgemäßeres zu substituieren. Wir sollen nämlich gar nicht tun. Wir wollen. Was das Gute ist, bestimmen Menschen selbst.

Die Freiheit vom Geld besorgt eine weitere Übereinkunft, die nämlich, dass der Berufskünstler bezahlt werden muss, Kunstwerke also Waren sind, sodass der Verkauf nicht mehr als Zweck gewertet werden darf, sondern quasi zum Wesen der Kunst selbst gehört. Das heißt das Akzeptieren des Warencharakters der Kunst. Es leistet mehr als nur die Ermöglichung der Rede von der Zweckfreiheit - es schließt kostenlose Kunst von dieser Zweckfreiheit aus.

Fotograf Jochen Gerz bringt es auf den Punkt: "Einmal angenommen, die Kunst hätte keinen Grund, sie hätte nur ihre eigene Grundlosigkeit, würde das heißen, dass sie zu nichts dient? Ich glaube jedenfalls, dass sie nur in ihrer radikalen Grundlosigkeit Kunst sein kann und als Kunst dienen kann."[26] Die Kunst will sich nämlich nichts fragen lassen. Das erreicht sie, wenn alle die Antwort schon kennen: "Heute findet die Kunst nur noch dann und da statt, wo sie als solche erkennbar und bezeichnet ist. [...] Heute ist sie der Freizeit zuzurechnen, so wie sie früher der Religion gehörte. In Zukunft wird sie vielleicht Teil einer sehr positiven Industrie sein. [...] Sie wird sich nicht länger nach ihrem Sinn, ihrer Funktion und Berechtigung fragen müssen."[27] Was Gerz von manch anderer Stimme unterscheidet, ist, dass er die Zweckfreiheit der Kunst nicht für gegeben, sondern für anzustreben hält.

Ist der Platz des Preisschildes am Kunstwerk unbesetzt, so stürzen sich sogleich Zwecke darauf, docken dort an und verwandeln das Kunstwerk in Propaganda, Reklame, Hobbykunst, Selbsttherapie, Manifeste der Geltungssucht usw. Dabei geht es nicht bloß um das Abwehren einer Kunst, die das Kunstbedürfnis der Menschen befriedigt, ohne dass Geld in den Markt fließt, es geht auch um das Selbstverständnis der professionalisierten Künste selbst.

Wer Kunst verschenkt, hat Hintergedanken. Die gilt es herauszufinden. In den Neunzigern des 20. Jahrhunderts folgte die Probe aufs Exempel. Das World Wide Web, ein Dienst des globalen Internet, brachte u.a. Privatanwendern ein nahezu laientaugliches Bereitstellungsmedium, in dem ohne hohe Kosten Dokumente für alle Welt verfügbar gemacht werden konnten. In den Anfangsjahren war dieses WWW mehr Möglichkeit als Dokumentennetzwerk, es musste erst "gefüllt" werden.[28] Das tat man gern. Es machte Spaß und rasch kam einiges zusammen. Da Geld dabei kaum eine Rolle spielte, sprach man von einer "Kostenloskultur". Darin fand sich u.a. Kunst - vom selbst getippten Gedicht bis zur für das WWW gefertigten Webkunst. Diese Kunst war kostenlos. Und gleich musste sie sich fragen lassen, was sie im Schilde führt. Auch all die anderen oben erwähnten Vorwürfe stammen aus dem Reden gegen die digitale Kunst der Kostenloskultur. Nichtskönnertum, wie es schon das Schlagwort der Ausstellung Entartete Kunst in München war, und Gebrauchskunst lauteten die Hauptanklagen. Das selbst bereitgestellte Gedicht hat wohl keinen Verleger gefunden. Die private Homepage ist Exhibitionismus. Webkunst will irgendwas, z.B. über Computer und Datennetz aufklären.

Tatsächlich zeigten sich Zwecke. Und in der Tat durch die Abwesenheit des Kunstmarktes - sie kamen dadurch jedoch nicht hinzu: sie wurden bloß sichtbar. Das Kunstschaffen für das WWW entpuppte sich als Kunstlabor, in dem Werke und Kunstdiskurse ohne Marktbezug erprobt werden konnten. Nicht die Webkunst wurde der Zweckhaftigkeit überführt, die Rede von der Zweckfreiheit zerfiel vor einer Kunstpraxis, die über präzise Daten zu Nutzerverhalten und Zahl, über ungefiltertes Publikumsfeedback, brauchbare Verfahren der Publikumsbeteiligung und die Möglichkeit verfügte, ein Feld zu bestellen, dass es so vorher nicht gab.

Innerhalb der Kunstszenen des WWW herrschte euphorische Befangenheit: viele lange vor dem Web postulierte künstlerische Positionen, die bislang an der Welt scheiterten, wie etwa Schwitters' Projekt des Merz-Gesamtkunstwerks[29], schienen plötzlich übertragbar. Zugleich versuchte man zu erkunden, was mit den "neuen Möglichkeiten des Internet" eigentlich anzufangen war - der erste Pfad in die so genannte Technikfalle.

Kurt Schwitters wird als einer der Erzzeugen der Web-Kunst inzwischen auf etlichen Websites genannt, z.B. weil seine Kunst, so Schwitters, eine Kunst des Inbeziehungsetzens (Hyperlink), der Kombination unterschiedlicher Materialien (Multimedia), der Errichtung wuchernder Kunstwelten (virtuelle Welt), der Selbsterfindung (Avatar) und der Publikumsmitwirkung (Interaktivität) war. Schwitters' Schlagworte hießen: vermerzen, Merzbau, Merzbühne.

Wie sich für die Frage nach der kostenlosen Kunst, bzw. der leider zweckbehafteten Kleinkunst, der Blick auf das Kunstschaffen der Kostenloskultur des WWW lohnt, so empfiehlt sich auch das Nachfragen bei Kurt Schwitters. Kostenlose Kunst war für ihn so undenkbar wie politische Kunst. Die Kunst musste wohl Ware sein, wenn sie nicht Politik werden sollte. Schwitters war dabei kein sehr erfolgreicher Künstler im Sinne hoher Einkünfte aus seinem Kunstschaffen. Er versuchte es. Ohne Kunstmittler war er sein eigener Marktschreier.[30] Besser stand es um seinen Brotberuf als Werbegestalter, in dem er durchaus gute Kunden gewinnen konnte, wie etwa seine Heimatstadt Hannover. An die 500 Drucksachen bearbeitete er nach eigener Aussage Anfang der Dreißiger Jahre pro Jahr.

Schwitters unterschied zwischen Merz-Kunst und Merz-Werbe. Merz-Kunst aber war Ware, Merz-Werbe zwar auch, nämlich seinen Auftraggebern gegenüber, jedoch nicht für das Publikum, da waren die Waren ein Drittes: das zu Verkaufende. Die Ware Merz-Kunst war frei. Die Merz-Werbe war zweckgebunden. Angeblich bedienten sich beide des gleichen Verfahrens, des Merzens, aber die Ergebnisse wirken doch recht unterschiedlich. Und dann hat Merz für Schwitters noch ein Eigenleben, das alles außer Kunst ausschließt.

Gegenüber anderen Dadaisten grenzte sich Schwitters teilweise entschieden ab. Merz war nicht einfach Dada. Weder die öfter erhobenen Forderungen nach Befreiung der Kunst vom Kommerz[31], noch die kultivierte Orientierungslosigkeit einiger Dadaisten, noch die Öffnung zum Politischen, etwa des Berliner Dada, wollte er mittragen. Gerade angesichts des heranziehenden NS-Regimes entschied sich Schwitters für eine von Politik unbefleckte Kunst, für das künstlerische Heraushalten, für die kleine Pause, das Gelächter. "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst", wusste doch schon Schiller.

Unpolitisch war Schwitters' Kunst nicht nur durch seine persönliche Entscheidung gegen eine Teilnahme am politischen Leben, nicht nur durch seine Vorbehalte gegen eine Kunst, die nicht Ware sein, sondern wirken will - das ergab sich aus dem Merz-Verfahren[32] selbst. Das bestand letztlich darin, alle Welt als Material zu betrachten, das nach seiner Herausnahme aus seinem ursprünglichen Kontext und Kombination mit anderen Materialien in einer neuen Gestalt eine neue, eigene Existenz gewann. Der künstlerische Akt lag für Schwitters in der Formgebung, nicht in der Materialauswahl, und darin vor allem in der rhythmischen Gestaltung.

Mit der Entnahme des Materials aus der Welt, dem Auflesen, verflüchtigte sich dessen Weltgebundenheit und damit jeder mögliche politische Bezug. So konnte Merz sich Welt aneignen ohne berührt zu werden. Merz, das war Kurt Schwitters.

Notizen 3. Der Kaiser ist tot

But nothing's predictable in this tough, harsh, highly competitive world where today's champion is tomorrow's crocodile shit.
Monty Python, The Men's-being-eaten-by-a-crocodile Contest

Als Nietzsche schrieb, Gott sei tot, haben wir in Europa nicht so genau hingehört, das wussten wir doch schon. Näher ging uns, dass der Kaiser ins Exil entlief. Das war noch besser als wenn er gestorben wäre. Nach so langer Zeit der Geburtsunterschiede. Da war was los und man hätte darüber nachdenken können, wie man leben will. Doch ein Staat braucht nun mal eine Regierung. Die wurde wenig später ganz furchtbar.

Der Geist des Aufbruchs. Es gab nicht mehr viel zu bewahren. In der Kunst schon gar nicht. Die war des Kaisers, für das Volk in billigen Abzügen verteilt. Kunst kam von oben, wird aber besser selber gemacht. Kunst ist so erhaben, könnte aber eigentlich auch erheitern, Kunst legitimiert Macht, könnte das aber einfach unterlassen, Kunst braucht edle Materialen, könnte aber irgendwas hernehmen, Kunst ist ja so wichtig, könnte aber auch alles sein. Kunst schafft man am besten ab.[33] Kunst könnte mal was Neues versuchen. Nur was?

Kurt Schwitters versuchte es mit Merz. Ich nannte meine neue Gestaltung mit prinzipiell jedem Material MERZ. Das ist die zweite Silbe von Kommerz. Der Kaiser ging, Merz kam, 1919. Tatsächlich: Schwitters konnte mit jedem Material, Ton, Bild, Text, Gebrauchsgegenständen, Abfall. Setzte er alles zusammen. Merz bedeutet Beziehungen schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt. Das Ganze dann überformt. Das Material verlor ohnehin seine Bedeutung wenn es aus seinem bisherigen Sinnzusammenhang fiel. Somit stimmt sein Satz nicht ganz. Die letzte Formung, das war dann er, Schwitters, Merz. Was Kunst ist, wissen Sie ebenso gut wie ich, es ist nichts weiter als Rhythmus. Dennoch kann man sagen, dass Merz-Kunstwerke seine Beziehungen präsentieren. Wenn uns auch in der Rückschau vieles als zeitgebunden erscheint.

Schwitters wollte mehr: ein andere Publikum. Eines, das im Theater mitspielt, selbst schreibt, inszeniert, gestaltet, malt, klatscht und kritisiert. Am Ende der Veranstaltung ist Beifall zu klatschen - uns selbst. Es sollte alles zusammen kommen. Das Merzgesamtkunstwerk aber ist die Merzbühne, die ich bislang nur theoretisch durcharbeiten konnte. Später wurde er pragmatischer, versuchte es mit weniger Volksbeteiligung.

Schwitters redete unaufhörlich darüber, was Kunst ist und was Kunst nicht ist, was Merz ist und was nicht. So viel, dass man gar nicht glauben mag, dass Merz nichts soll. Glauben trifft da ohnehin nicht. Schwitters wusste, was er wollte, aber so richtig gut ausdrücken konnte er das als Theoretiker nicht. Man kann sagen: die Merz-Theorie wurde der Merz-Kunst nicht gerecht. Der Allround-Künstler mit jedem Material sah die Theorie selbst möglicherweise als Kunst an. Wie seine Biografie ist sie völlig vermerzt.

Schwitters steht heute mit für den Neubeginn der Leerstelle, für Weimar 2, weil er es mit dem Neuen versucht hat und dabei geblieben ist. Dranbleiben, sprach mein Vater, sei die ganze Kunst. Ohne die alten Werte, ohne neue, blieb Dada. Dada ist Freiheit, allein die Freiheit kann einem zu viel werden. Schwitters wollte ohnedies lieber alleine frei sein, Merz sein und nicht X oder Y. Das fiel schwer: erstens ist die Kunst leicht aller möglichen Zwecke zu verdächtigen, zweitens braucht der Künstler Geld, drittens standen die Nazis vor der Tür.

Der Weg, den Schwitters wählte, bringt ihn ebenso in Zusammenhang mit den Künsten vernetzter Heimcomputer, wie die häufig zitierten Ambitionen auf die Beziehungen aller Welt, den textenden Leser, den malenden Autor, den selbst bestimmten Raum usw. Darum, schließlich, geht es hier.

 Man muss auch selbst zur Schere greifen. Der Länge nach. Erst schneiden, dann kleben! Und, nach Achternbusch, nicht über den Bildrand hinaus malen!

Schwitters schied die Merz-Kunst von der Merz-Werbe. Merz-Werbe war ein Unternehmen, das Plakate und Drucksachen gestaltete.

Reklame soll ein Produkt verkaufen, Kunst soll nur sie selbst sein. Wir wissen nicht wirklich, wie nützlich der Künstler Schwitters dem Werbegestalter Schwitters war - der Stil seiner Arbeiten als Layouter oder gelegentlich Werbetexter war der Merz-Kunst gegenüber relativ eigenständig. Das verwundert nicht, denn an der Kunst hing das ungeteilte Herz: Merz erstrebt aus Prinzip nur die Kunst, weil kein Mensch zween Herren dienen kann.

Bei aller Trennung von Kunst und Kommerz blieben die Ernten der Merz-Kunst Waren. Da gab es, außer den Merzbauten, die Schwitters' Privatvergnügen blieben, nichts, das nicht käuflich gewesen wäre. Keineswegs nur auf Nachfrage - Schwitters verkaufte engagiert und war ein begabter Verkäufer. Einer, der es nicht nötig hatte. Bereits die Merz-Werbe war ein Zubrot. Schwitters lebte vom Zins eines ererbten Mietshauses in Hannover.

Diente seine Kunst also doch zwei Herren? Hätte er sich dem Ruf nach einer unkommerziellen Kunst nicht anschließen können, er, dessen Steckenpferd die Erregung über politische Kunst war, die ihm keine echte, keine zweckfreie war? Davon später mehr. Nein. Nur die Kunst als Ware ist wirklich frei. Kunst, die verschenkt wird, ist bedenklich. Kostenlose Kunst will bestimmt auf irgendetwas hinaus. Die Menschen verbessern, verführen, umwerben, beeinflussen... Da muss sich der Künstler, der seine Werke gratis verteilt, fragen lassen, warum er das tut. Schwitters will sich nicht fragen lassen.

Schokolade fragt niemanden, was sie ist, was sie soll, was man damit macht, was sie mit dem Schokoloden-Genießer macht. Schokolode entzückt und nährt. Sie muss uns nicht aufgedrängt werden, wir entscheiden uns für Schokoladenkekse und gegen Gummibärchen und können das nicht erklären. So soll es sein. Ganze Welten gehen uns auf, wenn sie anmutig auf der Zunge schmilzt, in braun-klebrigen Tropfen den Gaumen berührt. Jedem sein eigenes Erleben und doch Einigkeit im Wissen, was Schokolode ist, die unaussprechlich köstliche.

Ihr aber, Ihr politischen Menschen von rechts oder links, oder Ihr mittlere Sorte, oder aus welchem blutigen Heerlager des Geistes Ihr kommen mögt, wenn ihr eines Tages mal die Politik recht satt habt, oder Euch auch nur für einen Abend von Euren Strapazen ausruhen wollt, so kommt zur Kunst, zur reinen unpolitischen Kunst, die ohne Tendenz ist, nicht sozial, nicht national, nicht zeitlich gebunden, nicht modisch. Sie kann Euch erquicken und wird es gerne tun. (Bisweilen erinnert Schwitters an Bhagwan Rajneesh Chandra Mohan: "Buddha wollte, dass jeder sich selbst das Licht ist, das ihn erleuchtet, ich will, dass jeder sich selbst der Witz ist, der ihn erheitert."[34])

Heute scheint unsere Welt nicht weniger wahnwitzig. Doch wir sind satt und sehen gar nicht mehr hin. Wir brauchen nicht zu wissen, warum wir etwas tun. Wir haben gelernt zu reden ohne zu teilen. Weil wir das Bittere nicht schmecken, beginnt uns das Werk Schwitters' süßlich zu werden. Es macht Spaß, es ist verkäuflich.

Niemand traut Schokolode, die ein Unbekannter auf der Straße verschenkt. Das muss man schon als Reklameaktion begriffen haben, dann erst greift man zu. Dann kann man ohne Sorge genießen. In der Zeit zwischen den Kriegen liebte man Werbung. Schon damals meinten manche, sie wäre Kunst. Schwitters nicht. Werbung gibt es gratis, sogar wenn man sie überhaupt nicht will. Kunst kostet. So einfach ist das. Kostenlose Kunst ist vermutlich nicht zweckfrei.

Mochten andere die Kunst von Kommerzialisierung und Politisierung erretten - für Schwitters war die Kunst nur als kommerzielle, das Kunstwerk nur als Ware vor der Politik sicher. Schaden konnte sie dabei nicht nehmen - Geld selbst ist rein und geht mit nichts eine Beziehung ein. Es bleibt immer nur Geld.

Merz ist keine beliebige Silbe aus Kommerz, sondern die richtige. Das Wörtchen Merz hatte im Mittelhochdeutschen die Bedeutung des Schatzes, der Kostbarkeit, des Kleinods und der guten Handelsware. Das Merzeln oder Merzen bezeichnete die Tätigkeiten des Handelns und Feilschens. Schwitters hatte sich so bewusst Merz ausgeschnitten, wie die Internetenthusiasten sich des verbliebenen Kom annahmen.

4.

Vor den Nazis schützte zweckfreies Künstlertum nicht. Die forderten die Parteilichkeit der Kunst und verdammten alles, was abseits stand. Der Bitterfelder Weg war ein Spaziergang dagegen. Das betraf nicht nur die neuen Künstler, die wie Schwitters Werk als entartete Kunst vorgeführt wurden, sondern z.B. die "klassischen Maler", die einfach nur bilden wollten wie zuvor.

Schwitters entwich in sein Urlaubsland Norwegen und später, als die Nazis dorthin folgten und ihm das Inventar zerschlugen, nach England. In beiden Exilstationen begann er neue Merzbauten, bewohnbare Kunstwelten. Ein wenig erinnert das schon an die Avatare und wahlfreien Zweitexistenzen des Verkehrs in Netzwerken verknüpfter Heimcomputer.

Seinen Anspruch der unpolitischen Kunst gab Schwitters im Exil nicht auf. Den einer rein kommerziellen Kunst teilweise schon: etlicher Abnehmer beraubt, konzertierte er sich mit der Arbeit am Merzbau auf sein einziges Projekt, das ihm stets Privatvergnügen und nie Ware war. Unvollendbar[35], wie Merzbauten angelegt waren, wurden sie nicht vollendet. Der Hannoveraner Merzbau[36] wurde durch alliierte Luftangriffe zerstört, der norwegische brannte nieder, der letzte, unfertigste, ist in Teilen an der University of Newcastle ausgestellt.

Notizen 4. Der Führer weiß alles

He shall fall down into the pit called Because, and there he shall perish with the dogs of Reason.
Aleister Crowley, Liber AL

Ein Spiel mit ernsten Problemen. Das ist Kunst. Dieses Spiel erscheint bei Schwitters als Erfüllen des individuellen Stils. Stil ersetzt für ihn Wahrheit.[37] Das Vorbild ist Oscar Wilde, Schwitters folgt milder und nachsichtiger. Wilde schrieb: "Ästhetische Empfindungen stehen höher als ethische. Sie gehören einer geistigen Sphäre an." In die Niederungen des Geistes verbannten beide die Politik und insbesondere Schwitters die politische Kunst.

Möglicherweise waren die ethischen Fragen der Zeit dringender als die ästhetischen. Während Schwitters seine Materialien vermerzte begannen die Nazis mit dem Ausmerzen. Befreiung vom Leben verstanden sie ganz anders. Das war ihnen keine Frage des Stils, sondern der geistigen Volksgesundheit, kein Spiel, sondern unseliger Ernst. Schwitters hat das nicht verkannt. 1932 trat er der SPD bei. Aber er sah in der Kunst kein Mittel gegen die braune Ästhetik, erst recht nicht gegen die Partei selbst. Für ihn war politische Kunst entweder Agitprop oder Minderkunst. Dass sie anderes könnte als "Hitler ist doof" zu rufen, fiel ihm nicht ein.

Man verstand einander allemal nicht. Glaubte z.B. Schwitters wirkungsvolle Reklame durch Gestaltung erreichen zu können, so schätzt NS-Chefwerber Josef Goebbels die Gestaltung eher gering. Sich-Siebenfach-Machen hieß sein Rezept. Es ist gleich, was es ist, es ist gleich, wie es aussieht, wichtig ist bloß, wie oft es wiederholt wird, wie präsent es ist. Prunkbauten, Lichtdome, Großparaden - alles nett, doch die Masse macht's. Das Individuelle hatte ausgedient. Erst die Werbepraxis bringt beide zusammen. Und während Schwitters sein Material von seinen früheren Bedeutungen löste um durch Kombination und Form keine Bedeutung und alle Welt entstehen zu lassen, wählte Goebbels sein Material nach Gebrauchsfertigkeit aus, blendete den Rest nicht aus, brannte ihn lieber gleich ab[38], um auf eine einzige Bedeutung und eine einzige Welt zu verpflichten. Der Mann hatte einfach keinen Stil.

Der Schöpfer der wirkungsvollen Merz-Reklame fiel als Schöpfer der befreienden Merz-Kunst den neuen Machthabern unangenehm auf. Die bezweifelten, eine Retourkutsche sondergleichen, gleich die künstlerische Kompetenz, was zu der Frage verleitete, ob ein talentloser Künstler im Nebenberuf auftragswürdiger Werbegestalter sein könne.

"Sie sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Nichtkönnertums und der Entartung. Uns allen verursacht das, was diese Schau bietet, Erschütterung und Ekel", sprach Künstler-Präsident Adolf Ziegler zur Eröffnung der Ausstellung 'Entartete Kunst' in München. Was half da Schwitters' Beteuerung: Wie ein Baum über den Boden ragt, so ist die Qualität meiner Erzeugnisse über alle Anforderungen erhaben?

1937, als Ziegler seine Rede hielt, war Schwitters bereits in Norwegen. Nun beschloss er zu bleiben. Als die braunen Horden ihm die Möbel und die Bilder an den Wänden zerschlugen, zog er nach England weiter. Fortan wurde er in seinen Bekenntnissen zum Unpolitischen vorsichtiger. Als er 1948 starb, erschien Thomas Manns Roman "Joseph und seine Brüder", dessen erster Band viel davon erzählt, wie man nicht-mitmachen, sich heraushalten kann aus solch finsteren Zeiten. Schwitters errichtete weitere Merzbauten. Sie wucherten einfach weiter. Kunsthöhlen, in die die banale Welt nicht kam. Später wurden sie umbenannt. Zu "Opfer der Bombardierung" oder zu "Raub der Flammen." Dafür konnte Schwitters nichts.

In den Merzbau kommt die böse Welt nicht hinein. Die lieferte bloß Baustoffe, deren bedrohliche Bedeutungen er mittels der strengen Gesetzmäßigkeiten der Kunst verlässlich ausfilterte. Das ergab sich, so Schwitters, von selbst: Ich weiß nur, wie ich es mache, ich kenne nur mein Material, von dem ich nehme, ich weiß nicht, zu welchem Zweck. Zu Grotten verbaut, zu Säulen getürmt, in Geheimverstecken: im Umsinn gebändigte Welt. Man darf da schon an Drogenhöhlen denken. Und die wiederum böten einen bezaubernden Anlass, über die "virtuellen Existenzen" des Internet, über die alten MUDs, das tägliche Chattheater, die Avatare und Webvisitenkarten nachzusinnen. Internetsucht gibt es schließlich auch.

...die Kunst ist mir viel zu wertvoll, um als Werkzeug mißbraucht zu werden; lieber stehe ich persönlich dem politischen Zeitgeschehen fern, notierte er 1931 unter dem Titel Ich und meine Ziele. Um gleich im nächsten Satz das zu einer Sache der Moral zu machen: Ich hoffe, die Zeit wird auch ohne mich politisch weiterbestehen können, wohingegen ich bestimmt weiß, daß die Kunst für ihre Entwicklung mich noch braucht. Kunst ist ein sonderbares Ding, sie braucht den Künstler. Beten wir es an! Das Sichversenken in Kunst kommt dem Gottesdienste gleich ... baute er einen Altar[39] vor ihm und ließ ausrufen und sprach: Morgen ist des Dings Fest. Schwitters fährt jedoch fort: ...in der Befreiung des Menschen von den Sorgen des Alltags.

Als Goethe unten im Schlosshof Soldaten warb ('O Halm', vermeint er zu hören, 'o Blume der Zeit') war die europäische Zivilisation längst auf der Höhe. Weimar, Heidelberg, Loreley - das wäre ein Deutschland! Die Welt hat andere Namen gehört: Majdanek, Sobibor, Treblinka ... Im Konzentrationslager Theresienstadt vertonte Gideon Klein einen Vers aus Hölderlins so genannter Zeit der Umnachtung:

Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen,
Der Jugend Freuden sind, wie lang, wie lang verflossen,
April und Mai und Junius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.[40]

Das singen und genießen wir heute noch grund- und absichtslos. "Möglicherweise", so der Komponist Winfried Radeke, "spiegeln sie [Kleins Madrigale] ... den Versuch wieder, Lyrik, Literatur, überhaupt geistiges Gut als letztes Menschliches zu bewahren, als letzte menschliche Identifikation inmitten von Gewalt und Unmenschlichkeit." Schwitters sah das nicht groß anders - nur war er auf der anderen Seite des Zauns. Sich des Wahnsinns seiner Mitwelten ebenso bewusst wie Klein, hielt er es lieber mit Onkel Heini:

Und wenn die Welten untergehen,
Bleibt Onkel Heini doch bestehn,
Denn unser braver Onkel Heini
Hat immer noch die krummsten Beini.

"Die vornehmen alten Damen, die steifen Generäle, schrieen, nach Luft schnappend, vor Lachen, schlugen sich auf die Schenkel, husteten", erinnert sich Hans Richter an einen Vortrag der Sonate in Urlauten im Salon der Frau Kiepenheuer 1925. Er erinnert sich an Schwitters zudem als einen knauserigen Wohlstandsbürger, der "zu rechnen verstand". Lassen wirs, derlei Zitieren gleicht forensischer Entomologie. Das mit den Beinen ist nebenbei wahlfrei: Das Weib entzückt durch seine Beine. Ich bin ein Mann, ich habe keine.

Christian Morgenstern, desgleichen kein Feind des Humors, kam angesichts des Weltuntergangs mit nur einem Knie aus. (Nicht wissen wir, was Nero beim Brand Roms gesungen haben soll. Vielleicht werden wir es bald erfahren.)

 Das ist zwar ein Bild, aber keine entartete Kunst. Die zugehörige Architektur kann noch in Wolfsburg besichtigt werden, z.B. bequem vom Zugfenster aus. Dazu fährt man Richtung Osten und blickt nach links.

Über die Nazis machte man keine Witze. Das war gefährlich (vor Nachstellung schirmt Zweckfreiheit in herkömmlichen Zeiten schon) und gilt bis heute. Zudem besorgten sie es gleich selbst. "Der Führer weiß alles", krakeelte Reichsarbeitsführer Robert Ley, "der Führer weiß bestimmt auf jedem Gebiet mehr als der Fachmann." Das kann man kaum mehr parodieren. Nur wiederholen, wie es leider viel zu spät, 1997, Kurt Fendts und Zafer Senocaks Web-Kunststück "Verstimmungen"[41] tat.

Spricht man heute über die NS-Diktatur, kommt man, wie Reinhard Döhl sagt, in Teufels Küche. "wahrscheinliche rede: man hatte mit hand anzulegen", "mögliche rede: man hätte etwas dagegen tun können." Titel und Anfänge zweier Gedichte, beider Schluss: "man wäre über die klinge gesprungen." Und ein Drittes: "üble nachrede: man war in teufels küche", "man hat mitgemacht." Unbewältigte Vergangenheit[42], unbewältigter, als man hierzulande so gerne glaubt: "Schluss mit der Auschwitzkeule" wurde in alle Sprachen übersetzt.

5.

Vom WWW sprachen später manche als neuem Merzbau.[43] Das trifft aber kaum, denn Kurt Schwitters kann gar nichts dafür. Er liegt, seit seiner Überführung 1970, in Hannover begraben. Es entstanden jedoch Merzbau-Nachbauten, wie das 3D-Projekt von Zvonimir Bakotin[44] und andere Kunstprojekte, die etliche der von Schwitters theoretisch formulierten Ansprüche an künftige Merzbühnen einlösten.

Es ist jedoch möglich die Erfahrungen der Kostenloskultur des WWW und einiger ihrer Künste[45] (die der nicht-maschinengenerierten Werke nämlich) in der Sprache Schwitters' zu beschreiben und mit seinen Anliegen zu vergleichen - auch in Hinblick auf die wirtschaftlichen Fragen. Anhaltspunkte geben dabei sowohl das Konzept des Merz-Gesamtkunstwerks als auch die Scheidung von Merz-Kunst und Merz-Werbe. Unternimmt man derlei, rückt das Kunstkriterium der Zweckfreiheit rasch in den Mittelpunkt - mit dem Ergebnis nicht nur der eigenen Fragwürdigkeit, sondern auch der vorsätzlich rein unpolitischen Kunst, die damit eben letztlich doch eine politische Position bezieht.

Heute wird der lange nicht mehr gehörte Ruf nach "neuer Autonomie" der Künste und nach radikalerer Zweckfreiheit wieder lauter. Da täuscht der große Schritt der Künste ins Abstrakte (den, meiner Auffassung nach, die Musik übrigens lange vor der bildenden Kunst getan hat) über den Fortschritt: das "schöne" Kunstgespräch geht nicht voran, es dreht sich in Kreisen. Derlei Ansinnen müssten eigentlich linke Verschwörungstheoretiker auf den Plan rufen und die Frage stellen lassen, aus welchem dringenden politischen Anliegen unserer Zeit sich die Kunst denn da konkret heraushalten soll.

Da es kaum noch Linke gibt und sich zur Kunst hierzulande geradezu nur Adorno-Adepten melden, will ich das mal versuchen: es geht um die Globalisierung der Kultur, um unsere Sehnsucht danach, wie Reinhold Grether[46] es nannte, und um die Angst vor einer weltweiten kulturellen Gleichschaltung.[47] Die hier entstehenden Konflikte können durchaus als Chancen genutzt werden - aber nicht, wenn wir uns auf Expansionsstrategien für westliche Kunstmärkte beschränken.[48] Was wir brauchen, ist eine weltweite künstlerische Begegnung, eine der Künstler selbst, nicht der Kunstwissenschaften, außerhalb des durch ungleiche Kapitalverteilung verzerrten Wettbewerbs, zumindest eine Begegnungsmöglichkeit ohne ökonomische Zwänge und theoretische Korsette, die das jeweils andere nicht leben lassen wollen.

Das könnte ein nicht-kommerzielles Netzwerk für Kunst vielleicht mit leisten. In jedem Fall aber kann dafür auf die Erfahrungen der Kunst der Kostenloskultur zurückgegriffen werden - wozu diese erst einmal wirklich als Kunst verstanden werden muss, auch ohne Ware zu sein.

Die Kostenloskultur ist heute nicht mehr zu finden. Sie wurde im Profitinteresse ausgemerzt.[49] Ihre Kunst war erfolgreich - indem sie die Aufmerksamkeit der Kunstwissenschaften erregte und dank Unterstützung von Museen, Akademien und Hochschulen ihre Anerkennung als Kunst teilweise gewinnen konnte. Ein nennenswertes Publikum fehlt ihr bislang - mag sein aus genau dieser Ursache: es bildet sich eine Art akademisierte Kunst heraus, die außerhalb der Seminare kaum bestehen kann.[50] Von Zweckfreiheit ist übrigens kaum noch die Rede: wichtige Aufgaben werden den Netzkünsten zugemutet, wie etwa die der Verbesserung des Netzbenutzers nach Art der brechtschen Putzfrau.

Eine andere Putzfrau wischte bekanntermaßen ein fettiges Werk des Künstlers Josef Beuys einfach weg, der gerufen hatte: "Jeder Mensch ist ein Künstler." Auf den Künstler Putzfrau wird sich die Netzkunst schon noch einlassen müssen.

Mit der Anerkennung kam der Wunsch nach Professionalisierung, das Heim in den Kunstmarkt. So eröffnete die Netzkünstlerin Olia Lialina eine Verkaufsplattform für Netzkunst, Teleportacia[51], die zu einigen interessanten Fragen führte, z.B. zu der, was eigentlich das Original eines Netzkunstwerks ist - oder gar, ob es überhaupt in EIN verkäufliches Ding verwandelt werden kann. Dies geschah dann u.a. über eine recht griffige Konstruktion: die Erklärung der eindeutigen Internetadresse zur Originalitätsstifterin. Die Erfahrungen hieraus, berichtet Lialina, kommen heute Museen zugute, die Netzkunstwerke archivieren wollen.

Eine andere Annäherung an den Kommerz wählte Johannes Auer mit seinem Projekt Fabrikverkauf[52]. Hier wird das verkäufliche Werk nicht ex post, sondern auf Vorrat geschaffen. Ein eher gewöhnlicher Webshop verkauft aufwändig bedruckte T-Shirts mit poppigen Werken des Künstlers. Die schossen seinerzeit wie Pilze aus dem Boden, die Webshops. Das Wichtige geschieht hier erst nach dem Kauf: alle Besitzer der T-Shirts können auf der Projektwebsite eintragen, wann und wo sie sich in dem Kleidungsstück zeigen. So entsteht die "Walking Exhibition", die Ausstellung auf der Straße mit Webinterface. Wo hier die Brisanz für den Kunstmarkt liegt, ist offensichtlich: im Spiel mit dem Event-Marketing des Markenhandels.[53]

Ein drittes Webprojekt, das sich mit Kunst und Kommerz auseinandersetzt, hat seine Wurzeln wie Fabrikverkauf im wirklichen Leben. Die schweizerische Netz-Künstlergruppe etoy[54] gründete eine tatsächliche und nicht nur virtuelle Aktiengesellschaft gleichen Namens, deren einziger Geschäftszweck die Steigerung des Börsenkurses der eigenen Anteilsscheine ist. Dies kann durch Glauben an die Idee erreicht werden, d.h. durch den Kauf der Shares in der Hoffnung, dass andere nachfolgen werden.

Man kann die etoy-Aktien als Guerilla-Strategie einer Bürgerinitiative ansehen, die sich über die große Abzocke der so genannten Internet-Blase erregt, die innerhalb weniger Jahre Hunderte Milliarden Dollar von Europa und aus einigen anderen Ländern in die USA spülte. Also eher Politik als Kunst? Die übrigen Werke der Gruppe sprechen für diese Auslegung: schon in den frühen Jahren des WWW dabei, lieferten sie vor allem Konstruktives innerhalb der Kostenloskultur, etwa den Vorschlag einer einheitlichen Internet-Zeitrechnung.[55]

Schwitters hätte wahrscheinlich an allen dreien Gefallen gefunden, nahmen sie doch bestehende Verhältnisse, statt einfach nur Gegenstände, als Material, andererseits hätte er sich wohl geärgert, da eine Absicht spürbar ist, die über die zweckfreie Kunstabsicht hinausgeht.

Diese Absichtlichkeit, formuliert als "bewusstes, reflektierendes Handeln", ergab sich aus der Goldgräberstimmung der Anfangsjahre des WWW. Das Gold, nach dem gegraben wurde, war nicht das Geld, sondern die Freiheit, vorbei an allen Märkten und jeglichen Konsumkonventionen, selbst zu schaffen und frei mit anderen zu teilen. Man kann es Spieltrieb nennen, aber das lässt sich leicht widerlegen durch echten Nutzen, der gleicherweise geschaffen wurde. Die Stimmung trog übrigens und der Ausgang war absehbar. Das Internet für den Privathaushalt ist nichts anderes als Mahagonny. Keine Sekunde ohne Gebühr, kein Eintritt ohne Geld, und wer keins mehr hat, fliegt raus.

Eine politische Kunst, die auf den Warencharakter von Kunst und den Kunstmarkt abzielt, muss aber nicht unbedingt als politische Aktion gedeutet werden. Alle drei Projekte traten nicht mit dem Anspruch an, die Welt zu verändern.[56] Stattdessen boten sie eine Gelegenheit Geld auszugeben. Das Unbehagen des klassischen Galeristen bleibt - soll hier der Verkauf wieder in den "Katalog der Zweck" eingeführt werden? Das würde den Kunstsprech eines halben Jahrhunderts ruinieren. Damit wäre schöne Pornografie, z.B., auf einen Schlag keine anerkannte Kunst mehr.[57] Gerade hinter dem heiteren Spiel der Kunst steckt manchmal echter Sprengstoff.

Die Lage, in der Kurt Schwitters sich befand, war in Bezug auf die Neudefinition von Kunst vielleicht vergleichbar, in Sachen der Frage nach der politischen Kunst nicht. Das WWW war ein Aufbauspiel. Jeder konnte sich beteiligen an den Diskussionen technischer Standards, des Umgangs miteinander, des Ausbaus des Dokumentvorrats und seiner Verknüpfung. Viele kollaborative Projekte entstanden. Sich einzubringen[58] traf hier auf eine andere Welt als Schwitters Sich-Heraushalten angesichts des Straßenterrors der Parteien. Mitzumachen am WWW war nicht nur ungefährlicher, sondern auch aussichtsreicher. Allerdings hätte Schwitters hier sehen können, was politische Kunst sein kann[59], die keine Parolen brüllt. "Der Netzkünstler gilt als Inbegriff eines kreativen Subjekts, das trotz oder gerade wegen seiner Außenseiterposition gesellschaftlich relevante Aussagen zu formulieren vermag"[60], schrieb etwas misstrauisch Verena Kuni.

Notizen 5. Missbrauch von Unterhaltungsgerät

Ad tua munera sit via dextera, Phytagoraea.
Bernard de Cluny, De contemptu mundi libri tres

UMTS ist die Zukunft des deutschen Mobiltelefons. Das heute gerade Allerneuste. Schöner als Fernsehen werden da die Lottozahlen präsentiert, Wetterprognosen blitzen aus dem Bildschirmchen; mit Freunden, die in einer anderen Straßenbahn sitzen, kann man ein Spielchen wagen und zugleich sich unterhalten; den nächsterreichbaren Babysitter findet man im Kleinanzeigenteil. Und Sinfonien als Klingeltöne! Die Sterne stehen günstig. Aber Merkur! Da lauert Gefahr: "Das Aufkommen einer Kostenloskultur, wie beim Internet, darf sich in keinem Fall wiederholen." Das müsse "im Keim erstickt" werden, auch durch "technische Vorkehrungen". Stand in der Zeitung.

Beim Internet weiß man ebenso Bescheid: "Kostenlose Angebote finden Sie heute im Internet nicht mehr - und das ist gut so. Trotzdem können Sie mit unseren Tipps auch bei kommerziellen Anbietern Ihr Schnäppchen machen." Das Internet war von Anfang an ein Gebiet, das nur nach Zahlung betreten werden kann.[61] Wem das die Universität oder der Arbeitgeber bezahlte, meinte manchmal, es sei umsonst.

Kostenlos gefährdet Arbeitsplätze. Ehrenamtliche Helfer zum Beispiel verunsichern examinierte Altenpfleger. Ein klarer Zusammenhang. Was ist Kostenloskultur?

In einem Satz: der Geist einer wahlfreien Tauschplattform selbst erstellter kopierbarer Güter. Geist: so ist es gut, so ists gewollt. Tauschplattform: es funktioniert für alle gleich, alles Enthaltene ist für alle erreichbar. Wahlfrei: man muss nichts beitragen. Selbst erstellt: es wird kein Diebesgut verteilt. Kopierbar: Originale kommen nicht vor. Güter: das würde man kaufen.

Als Beispiel dient hier das World Wide Web, das ist so bekannt. Nicht das WWW selbst, sondern eben die Kostenloskultur des WWW. Für das WWW im Ganzen gilt der Satz oben schon nicht mehr. Anbieter und Nutzer stehen tatsächlich nicht gleich und es ist keineswegs alles für alle zugänglich. Am Anfang nahm man das nicht so genau - was zu einer Welle der Begeisterung führte: "unser Medium."

Plötzlich war der Kaiser weg. Kein Staat, keine Kirche, keine Arbeitgeber. Eigentlich überhaupt nichts. Es musste erst gefüllt werden.[62] Es gab nun eine Dokumentbeschreibungssprache, die es ermöglichte, Text, Bild, Ton und Film zu kombinieren und Verweise zu anderen Stellen im selben Dokument, in anderen Dokumenten oder in den Dokumenten von anderen anzubringen, die durch einen Klick die Beschaffung des Verwiesenen besorgen ließen. Hypertext, Hypermedia. Hyper ist der Klick, der es holt, irgendein Dokument ...

Das erinnert an Schwitters' Kombination beliebigen Materials, das Aufheben der tradierten Grenzen zwischen Text und Bild, an seine Beziehung zu allen Dingen der Welt. Das waren zwei gut zu unterscheidende Besonderheiten des WWW, wie man etwa an den in den Anfangsjahren entstandenen Arbeiten von Heiko Idensen und Reinhard Döhl ablesen kann. Idensen widmete sich der aus den Verweisen entstehenden, wild wuchernden Netzstruktur, der Überschreitung der Dokumentgrenzen, Döhl der Überschreitung der Grenzen der Dokumentarten. Die Grenzen blieben jeweils, wo sie waren, nur musste man nicht darinnen bleiben. Den Film auf der Textseite, die Quellenangabe, die man antippt und die Quelle ist da, das gab es vorab nur für Eingeweihte.

Den Grenzerhalt zeigt etwa "worm apple pie for doehl" nach Reinhard Döhl von Johannes Auer, der Wurm, der sich durch den Apfel aus den Wortstaben Apfel frisst. Formal ist der wesentliche Schritt längst auf dem Papier getan: der Textapfel. Dass das Wort Wurm sich als gefräßiger Wurm sichtbar bewegt, ist ein Zusätzliches. Die Bewegung des Wurms ist Trickfilm. Das hätte viel früher als Daumenkino realisiert werden können. Wurde es aber nicht.

 Der Wurm ist rot.

Soll heißen: der Apfel ist keine Frucht des WWW, nicht einmal des Computers - der verarbeitet Text und Ton und Film gar mit unterschiedlicher Software (die man vielleicht gerade nicht hat). Für alle möglichen Zwecke gibt es Anwendungen, die klingen nicht unvertraut: Filmwiedergabe, Tonwiedergabe, Bildanzeige, Textverarbeitung. Heiko Idensen schrieb: "Neu ist allein die konkrete Zusammenschaltung sämtlicher Lese- und Schreibvorgänge im Netz - auf einer einzigen Oberfläche."[63]

Ich sitze vor meinem Bildschirm. Ja, das ist es. Der Apfel mahnt mich, nicht allzu ernst zu nehmen, was ich sehe. Dieser Wurm im Apfel, der Apfel allein, ist schon mehr, als das Neue zu bieten hat. Mit der einen Ausnahme, dass der Apfel jetzt so angelegt sein könnte, dass ich z.B. mitfräße, mit dem Wurm, und andere das sehen. Das ergibt sich eher aus der Distributionsweise, als aus den Möglichkeiten der Gestaltung des Bildschirminhalts.

Zu der Dokumentsprache Html gesellten sich bald Skriptsprachen, welche die Beeinflussung des Apfels durch den Betrachter ermöglichen würden. Dann separate Dokumentvorlagen, die Inhalt und Layout trennten, damit das Layout vieler Dokumente gleichzeitig verändert werden kann. Inhalt und Gestaltung müssen ohnehin getrennt werden, damit ein Dokument über unterschiedliche Netze weitergegeben und von unterschiedlichen Ausgabegeräten verarbeitet werden kann. UMTS, iMode, http; Bildschirm, Drucker, Sprachausgabe.

Der Wurm im Apfel ist, samt Apfel, schon gegessen worden. Drum tragen wir, wenn wir nackt durch die Straßen flitzen, Apfelblätter vor den verschämten Stellen. Andererseits ruft er ja immer noch: ich will gegessen werden. Jedenfalls ist er letztlich stärker als Mutimedi.

Reinhard Döhl gelangte also zu einer Kunst des WWW, was nicht weiter verwundert, denn da kam er ja her, von der Kunst. Heiko Idensen wandte sich der Enzyklopädie zu.[64] Was ebenso wenig erstaunt. Um nicht erstaunt zu sein, muss man wissen, dass die Kunst des WWW noch viel zu oft in Werken vorliegt. Die werden geschaffen, bereitgestellt und verknüpft. Oder nicht, dazu gleich ein Beispiel.

1997 verschickte die Webkünstlerin Olia Lialina Einladungen, die heute im Werbemüll-Filter hängen bleiben würden. "if you want me clean your screen, scroll up and down."[65] Dazu war eine Adresse angegeben. Klickte man die an, erschien, bei funktionierender Internetverbindung, auf dem Bildschirm eine schwarze Seite, darauf das Foto einer Handfläche, darauf eine Briefmarke. Die schwarze Seite war größer als der Bildschirm, man konnte also hinauf- und herunterblättern. Die Hand bewegte sich auf und ab und wischte das Bildschirmglas von innen. Das sah man natürlich nur, wenn man's auch tat. Lialina hat auf die vorgefertigte Bewegung verzichtet. Man muss selbst putzen um das Putzen zu sehen.

Die Einladung kam per E-Mail, ohne Briefmarke. Das macht die Briefmarke auf der Seite wieder gut. Das Netz der Maschinen verbindet Menschen. Wir schreiben uns Briefe. Wir reichen uns die Hand, wir putzen uns den Bildschirm. Briefmarken kosten. Diese war schon gestempelt. Bezahlt hat sie Olia Lialina. Die Bereitstellung von Dokumenten für den Abruf durch andere Computer kostet Geld.

1909, vor beinahe hundert Jahren, promovierte der Lyriker und Telegraf August Stramm in Halle mit einer Dissertation über das Welteinheitsporto. Länder mit eigenständigen Postdiensten gibt es mehr als Computerstandards. Seine Fertigkeiten als Telegraf, also der Zwang zur Kürze, wirkte in seinen Gedichten fort. Stramm erarbeite sich einen lyrischen Telegrammstil, dem die tatsächliche Telegrafie mehr als Anregung war, der weit über Regeln-der-Kürze hinausging. Indem er sich nämlich nicht ganz beugte: zwar schrieb er Stakkato, aber nicht, wie etwa der italienische Futurist Marinetti, bar jeder Syntax. Davon wurde Schwitters Dichtung, mehr noch sein Vortrag, später stark beeinflusst. Stramm fiel als Soldat 1915. "Der Himmel wirft Wolken / Und knattert zu Rauch. / Spitzen blitzen. / Füße wippen stiebig Kiesel. / Augen kichern in die Wirre / Und / Zergehren."

(Möglicherweise geben die knappen Zeilen, die Herwarth Walden auf einer ansonsten leeren Seite im "Sturm" erscheinen ließ, eher Auskunft darüber, wie man den Wahnsinn des ersten Krieges wirklich erlebte: "Der Hauptmann August Stramm ist am zweiten September in Russland gefallen. Der Soldat und Ritter. Der Führer. / Du großer Künstler und liebster Freund. / Du leuchtest ewig." Der zweite Krieg brachte solchen Rausch nicht mehr. Das Leuchten steht auf Stramms Berliner Grabstein: "Vielleicht sind wir noch einmal Sterne am Antlitz Gottes.")

Wegen des Welteinheitsportos und der Wirkung des "Mediums Telegrafie auf seine Kunst" wurde Stramm zu einem weiteren Erzzeugen der Kunst des WWW. Wo zeigt sich da die medientypische Ästhetik? So jedenfalls fragten Wettbewerbsausschreiber. Auch wieder Leute, die nicht bekamen, was sie wollten. Der große Online-Ulysses wäre es gewesen, hieß es hinterher, da warte man noch drauf. Joyce nämlich gehört dazu: Erzzeuge für Hypertextliteratur (nichtlineare Belletristik). Lawrence Sterne natürlich auch. Oder Arno Schmidt, der Tischrechner-Sammler mit den Zettelkästen. Reinhard Döhl war ebenfalls lang vor dem WWW Mailartist, Heiko Idensen arbeitete an Projekten zur nichtlinearen Wissensorganisation. Manchmal scheint es, als habe das World Wide Web gar nicht so viel Neues[66] gebracht, nur manches leichter gemacht. Ein Fortschritt an Komfort und manchmal an Geschwindigkeit.

Im Fall von Stramm ist die Zuschreibung wohl falsch - wie gerade der Vergleich mit Schwitters zeigt. Das WWW ist kein Kommunikationsmedium, eher ein Bereitstellungsmedium, E-Mail ist das mit dem Brief. Das WWW legt nicht Beschränkungen auf, sondern nimmt welche fort. Es ist da nicht besonders eng, sondern besonders weit.[67] Beton - es ist egal, was man daraus macht. Und: es gibt nicht eine Eigenschaft des Mediums, die alles bestimmt. Das Medientypische musste sich erst herausbilden, konnte nicht in einem Punkt "getroffen" werden. Schwitters war gerade für diese Weite offen, kam mit dem Alleshaben klar, ohne darin zu ertrinken, musste nichts komprimieren, sondern konnte seine Merzbauten weiter auswuchern lassen.

Der Apfel und das Scheibenwischen werden als Kunst erkannt. Zumindest der Apfel ist über jeden Verdacht erhaben. Die Wischaktion nicht immer. Die stellte ich in rund 30 Vorträgen zur Kunst des WWW vor und erntete doch manchmal Unverständnis. Das kommt, denke ich mir, daher, dass der Apfel so aussieht, als gäbe es den gedruckt - obwohl der Wurm sich bewegt. Dennoch: Apfel und Scheibenwischer werden als solche nicht berechnet. Wenn Millionen klicken, kommt kein Geld bei den Künstlern an. Im Gegenteil, die Betriebskosten steigen.

Diese Kunst, für die die beiden Beispiele hier genügen, tritt am Kunstmarkt nicht an. Sie gehört zur Sphäre der Kostenloskultur. Dort konkurrierte die Kunst mit anderen kostenlosen Angeboten um Aufmerksamkeit. Noch nicht wirklich - noch galt es nicht, sich siebenfach zu machen, es reichte, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.

 Werkzeuge: Webkunst bediente sich durchaus ähnlicher Verfahren wie Schwitters. Auch sie fand vor, kopierte, schnitt, fügte zusammen und formte alles neu. Die Jury eines Internet-Literaturwettbewerbs rügte sogleich, dass aus den Weiten des WWW zusammengeklaut worden sei.

Das World Wide Web wurde nicht für die Kunst und nicht für die Geschäftswelt entwickelt, sondern für den Informationsaustausch unter Wissenschaftlern. Es hat etwas von einer Bibliothek, deren Bestände von den Autoren noch weiter editiert werden. Leider genügen die vorgesehenen Angaben zu den Dokumentinhalten (in den sog. Meta-Tags der Html-Dateien) nicht den bibliothekarischen Standards. Hieran wird noch gearbeitet.

Aber es machte vieles so einfach. Der Computer in der Privatwohnung bekam zu tun. Immer mehr wurden verkauft, immer mehr angeschlossen, das Internet explodierte, die Computerausstattung der Haushalte, Schulen und Kindergärten auch. Mit der wachsenden Zahl lohnten dann Investitionen: die Händler kamen, die Unterhalter und andere mehr, die nach Kunden suchten. Werbung wurde billiger: statt teuerem Papier für den Müllcontainer billige Lichtpunkte. Auch die Schokoladenpreise von gestern sind da leichter nachträglich anzupassen.

Und eben die Kunst. Aber wenig. Die meisten Homepager, Leute, die sich eine eigene private Homepage (eigentlich die Startseite des Dokumentenstapels Website) bastelten, hatten keinen Kunstanspruch. Die, die einen hatten, liefen, anders als Döhl oder Lialina, oft in die damals so genannte Technikfalle. Die bestand darin, dass man das Gefühl hatte, mit dem Computer für die Web-Bereitstellung jetzt etwas besonders Computeriges oder gar Netziges schaffen zu müssen. Bald schon fanden Wettbewerbe statt, bei denen das Gleiche gesucht wurde. Jetzt muss doch gleich das Neue auftauchen - wo ist das Neue, das zu Schaffende? Man war eben so aufgeregt - durch die neue Einfachheit, Verbundenheit und Leere. Sogar einen "rechtsfreien Raum" vermuteten manche.

Was das so alles war, was das Neue sein sollte, habe ich an anderer Stelle schon viel zu ausführlich berichtet. Das ist hier nicht wichtig. Ob der Computer die Werke schafft und woher er Ausgangsdaten und Regeln nimmt - oder viele Computer gemeinsam - oder Menschen über das Computernetzwerk gemeinsam - oder Menschen und Computer gemeinsam. Ob das Netzwerk, die Computer, die benutzte Software, die Daten oder unser Umgang mit alledem hinterfragt wurde, simuliert, kommentiert oder abgebildet, zerschnitten und anders zusammengesetzt ... Egal. Solches gabs. Aber es wurde nicht sehr ernst genommen - im Kunstbetrieb, im Literaturbetrieb.

Die Kunst war nicht immer als solche erkennbar. Ihre Zweckfreiheit wies sie nicht mehr aus. Die hatten die meisten privaten Homepages auch zu bieten. Typische Formen waren anfangs nicht zu erkennen. Wie unterscheidet man die Parodie einer Schülerwebsite von einer Schülerwebsite? Wie erkennt man den Fake eines "abgestürzten" Computers, wenn wir dem beim bloßen Anschein ohnehin den Stecker ziehen. Usw. Viele kannten sich ja gar nicht aus.

Echte Webkunst wurde von Insidern für Insider gemacht. Kaum jemand sonst konnte sie sehen. Sie sprach Menschen an, die über ähnliche Erfahrungen verfügten. Nur eine Kunst sprach keinen an: die gänzlich computergenerierte, also solche, die einmal als abgeschlossen gilt und dann immer weiter produziert. Man sah hin, amüsierte sich, dann aber nicht mehr. Der Maschinenkunst fehlte das Maschinenpublikum, der Leseroboter z.B. Webkunst war da spannend, wo sie als Auftritt inszeniert war, wenn sie den Bildschirm ähnlich einer Bühne nutzte - oder wenn sie sich nahe an den traditionellen Kunstgattungen hielt. Das Kaiserpanorama hatte schlechtere Karten.

Das war es nicht allein. Der Kunstbetrieb weist ja Hermetisches nicht ab. Es fehlte auch das Preisschild. Dieses Kunstschaffen hatte keinen Wert, jedenfalls keinen ablesbaren. Da blieb nichts als abzuwarten, wie sie sich am Markt macht. Aber sie kam dort nicht an. Später wurden Preise vergeben und Stipendien, Gestaltungsaufträge, Einladungen zu Kongressen. Da kam ein Wettbewerb auf, der nicht über die Werke und ihr Publikum ausgetragen wurde. Stattdessen ging es darum, mit den Erklärungen der Werke zu brillieren, in den ersten etablierten Zirkeln, die über eine lokale Basis verfügen, dabei zu sein, im Gespräch mit den richtigen Leuten zu sein, an geeigneter Stelle den richtigen Vorschlag zu machen usw. Werke sind inzwischen seltener geworden - angesichts der Entwicklung der Nutzerzahlen. Ende der Neunziger meinte der Netzwissenschaftler Reinhold Grether, die besten Werke seien die, die nicht existieren, denen man nachjagt oder die man wie des Kaisers neue Kleider nicht oder doch vor sich sieht. Vorworte nicht geschriebener Bücher.

Auch die Abgrenzung der einzelnen Werke war problematisch. Netzkunstgalerie-Betreiberin Olia Lialina berichtete: "Ausdrücklich als Netzkunstwerke definierte Arbeiten widersprechen der Logik des Besitzdenkens. Der alten Logik des Besitzdenkens. Der alten Logik überhaupt. Es ist jedoch eine neue Logik im Entstehen begriffen, die man zum jetzigen Zeitpunkt noch formen kann. Ich würde empfehlen, dabei nicht von Hypothesen und Analogien zu existierenden Kunst-Praktiken auszugehen, sondern von konkreten Beispielen und aktuellen Ereignissen. Ich würde vorschlagen, in erster Linie die zweitrangigen Fragen zu diskutieren. Beispielsweise die Frage, was man mit der feedback email eines Projekts machen soll, nachdem der Künstler es verkauft oder archiviert hat."[68]

Die noch formbare "neue Logik" war die der Kostenloskultur. Sie sah eine Übertragung von Werken aus dem Netz in die Welt des Kunstbetriebs nicht vor. "Ich halte es für sehr wichtig, dass die Autoren die Interpretationen ihre Arbeit jederzeit verändern oder sie einfach löschen können, wenn sie von der Arbeit oder der Idee als solcher genug haben. Mein Museum ist real. In ihm ist alles echt."[69] Das ist am Beispiel der oben erwähnten Scheibenwischer-Arbeit leicht nachzuvollziehen. Die Formen sind in der vernetzten Datenkunst kaum stabil. Der Apfel hingegen kann problemlos als lokale Kopie betrachtet werden, er ist eher Objekt als Aufführung.

Der etablierte Kunstbetrieb muss sich, dachte damals nicht nur Lialina, in Richtung Netzkunst bewegen. Das ist inzwischen geschehen - vermittels einiger engagierter Museen, Institute und Akademien. Am Kunstmarkt hingegen ist bislang lediglich ein Hauch zu spüren. Durch Abstinenz in den neuen Info-, Unterhaltungs- und Einkaufswelten kann der Kunstbetrieb aber nur verlieren. War es nichts mit dem Kostenlosen, ist er jetzt am Zuge sich etwas Eigenes einfallen zu lassen.

 Nicht immer war Webkunst auf die Wiedergabe durch einen Browser angewiesen. Manchmal trat sie selbst als Browser auf.[70]

Derweil stehen die Webkünstler im direkten Vergleich mit Erzeugnissen diverser Unterhaltungsindustrien, etwa den netzbasierten Computerspielen. Die werden nicht von Einzelpersonen[71] oder Kleingruppen, sondern von großen Teams mit teils gewaltigem finanziellen Aufwand realisiert. Beinahe nur die Immernoch-Webkünstler selbst bemerken hier keinen Wettbewerb. Zum anderen verlieren sie den Boden unter den Füßen. Webkunst greift heute schon zu kurz. Was ist mit den übrigen Diensten des Internet? Was mit anderen Netzen? Dass WWW ist im Grunde nichts als eine Übereinkunft darüber, wie unterschiedliche Computer Dokumente miteinander austauschen können. Diese Übereinkunft steht zur Disposition. So, wie sie ist, ist sie nicht wirklich auf Shopping und Multimedia-Entertainment zugeschnitten. Es dauert noch eine Weile, aber die Frage nach der Webkunst von morgen brauchen wir gar nicht erst zu stellen. Eine gute Frage ist eher: was kommt nach dem Web?

Nimmt man Webkunst ernst, ist es höchste Zeit, über ihre Archivierung nachzudenken. Auch darüber, womit und wie man das später wieder hervorholen will. Vor allem sollte man spätestens jetzt mit dem Sammeln beginnen. Einige der einstmals wichtigsten Arbeiten sind schon verschwunden. Da viele Projekte nicht bloß Dokumente bereitstellen, sondern auch serverseitig Skripte ausführen, ist dazu eine Zusammenarbeit mit den Künstlern notwenig. Einfaches Einsammeln dürfte wenig bringen. Ob UMTS-Kunst etwas völlig anderes sein wird? Ob sie sich ihrem Medium gelassener stellen kann? Das wissen wir schon. Es wird sie nicht geben. So was wird im Keim erstickt.

Die Kunst der Kostenloskultur war keine Ware. Überhaupt hat nie jemand Waren verschenkt. Nix Computer umsonst, so wenig wie Ölgemälde. Kaum je fand sich ein kostenloses Kreuzworträtsel oder Horoskop. Gewinnspiele aller Arten gab es damals nicht, kein werbefreies Fernsehprogramm, keine Gratis-Rechtsberatung. Niemand bastelte ein Promi-Quiz um es kostenlos zur Verfügung zu stellen, Intimes aus den Schlafzimmern Hollywoods war noch nicht zu erfahren. Als das aufkam, war es kommerziell.

Jetzt ist alles in Ordnung und nur noch böse Raubkopierer und fiese Virenprogrammierer gefährden den "virtuellen Marktplatz" WWW. "Zerstreuungs-Orgeln, Automaten oder das Kaufhaus im Hause, enthaltend: Musikstücke, Bilder, Liköre, Feuerwerk, Broschüren, Lotterielose usw." schrieb schon Christian Morgenstern, wenn auch übervorsichtig unter dem Titel "Aus dem Anzeigenteil einer Tageszeitung des Jahres 2407"[72]. Nun geht es nicht mehr um Kommerzialisierung, jetzt geht man das Thema Zensur an, da tanzen noch immer nackte Nazis herum.

Vom Nutzen, statt vom Schaden, der Kostenloskultur ist selten die Rede. Schon gar nicht bei den Künstlern. Die sahen nach viel Feedback dann doch, dass ihnen Bargeld lieber gewesen wäre. Die Kostenloskultur schuf ihnen kein Einkommen. Und die, die ihre Kunst gleich mit den Mitteln des vernetzten Computers ausübten, verdienten ebenso wenig und wurden vom Kunstbetrieb somit gleich als unprofessionell erkannt.

Die Frage nach der Vereinbarkeit von Kunst und Kommerz, bzw. nach ihrer Trennbarkeit, hat sich nicht erneut gestellt. Jeder Webkünstler hat, scheints, seinen Schelling auf dem Desktop. Und wenn, dann stellte sie sich so: wie kann ich eine Verbindung zwischen meiner Kunst und eurem Kommerz herstellen, damit euer Geld auf meinem Konto eingeht? Das erst später. Stattdessen geschah das, was Schwitters wohl fürchtete: durch den vorübergehenden Ausfall der sinnstiftenden Warenwirtschaft tauchten Nebenzwecke auf, die die Kunst des WWW, so jung sie war, gleich zu entjungfern drohten.

Und das ganz praktisch, bzw. aus der Praxis heraus. Zum einen nämlich verfügt der elektrisch vernetzte Künstler über Informationen über sein Publikum und dessen Gebrauch seines Werkes, wie sie zuvor allenfalls den performativen Künsten zugänglich waren - was zu allerlei sehr außerkünstlerischen Überlegungen und Handlungen Anlass gab. Zum anderen wurde man direkt nach seinen Motiven[73], wenn nicht Zwecken gefragt. So schrieb der Schriftsteller Michael Rutschky 1999 in einem kostenlos zugänglichen Online-Magazin: "Ich stelle mir das so vor, dass alle, die im Internet Literatur publizieren - weil publizieren das Primäre ist, und nicht Schreiben - dass all diese Internetliteraten nichts sehnlicher wollen, als einzukommen in die legitime Kultur. Zu Suhrkamp. Und zwar Hardcover!"[74]

Legitime Kultur! Und was legitimiert sie? Kultürlich das Geld. Da wollen sie reinkommen? Einige ja, in der Tat.[75] Das wird jedoch anders vonstatten gehen als Rutschky sich das dachte. Man kann weder das Internet noch jeden weiteren Fortschritt ausblenden und den Jahrmarkt der Eitelkeiten, bzw. den Markt der schönen Dinge in alle Ewigkeit unverändert fortbestehen lassen. Spätestens wenn die Aufmerksamkeit der Kundschaft abwandert, muss man nachkommen.

Das Alte gibt sich abwehrbereit, bewaffnet z.B. mit unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen für das gleiche Werk, je nachdem, ob es digital oder materiell vorliegt[76], oder mit einer Bindung öffentlicher Kunstförderung an nicht-digitale Werkformen, bzw. an den Willen zur Einkommenserzielung seitens der Künstler, oder mit pauschalen Urheberrechtsgaben auf die Arbeitsmittel der Computerkünstler, die dann an die Akteure des Offline-Kunstmarktes ausgeschüttet werden, usw.

 Euro-Münze des Vatikan. Das Bild zeigt Papst Johannes Paul II, der seine Kirche weiter zu Maria führt. Im weiten Sinne ein Projekt, dass die Künste der westlichen Welt noch nicht einmal begonnen haben.

Go

Jeder Mensch ein Künstler? Aber bitte. Das zog sich durch MUDs und Newsgroups, durch Mailinglisten und Chatrooms und zerknallte im WWW, im Web. (Das ist doch Politik, die schießt dir ins Genick.)

Es kamen Ungewissheiten auf. Klickt zum Beispiel jemand mit seiner Computermaus auf einen Hyperlink, der mein Dokument abruft, sehe ich das später in der Statistik. Schön. 147 waren es. Sehr schön. Was habe ich davon?

Könnte weit mehr als die reine Ästhetik von der Philosophie zur Psychologie wechseln?. 211. Ist das besser? Was treibt sie um, die Künstler und Konsumenten im Zweckfreien?[77] Fließt da nicht Geld? Gibt es da nicht Wege, auf tausend Klicks zu kommen und für jeden Klick einen echten Cent?

Was den Hobbykünstler umtrieb waren die Besucherzahlen. Meinte er es ernst, brauchte er Aufmerksamkeit. Da ist er, laut Michael Goldhaber[78], bei der Kunst goldrichtig, die sei nämlich eine Wunderwaffe zur Erzeugung von Aufmerksamkeit. Goldhaber illustriert das sicherheitshalber am Beispiel eines Museumsbesuchs. Die Kunst stellt er mit seinem Schlachtruf "Aufmerksamkeitsökonomie" genau dahin, wo Schwitters sie lassen wollte. Da geht es der Werbung um Aufmerksamkeit für ein Angebot, das sie nicht selbst ist, der Kunst um ein Angebot, das sie selbst ist, und Dror Feiler[79] um den Frieden in Palästina. Heile Welt eben und die ganz alte dazu.

Themen des Urheberrechtsschutzes, des Markenrechts, der Verweishaftung, des Gebrauchs des Rechts der freien Meinungsäußerung usw. begegnen dem Webkünstler unmittelbarer, öfter und vor allem mit erheblicheren persönlichen Konsequenzen als dem Berufskünstler. Zudem hat er seine Server-Statistik: wie viele schauten, was schauten sie an, wie lange, wer empfahl meine Arbeiten, was wollten sie danach usw. Das kann er alles wissen. Und noch darüber hinaus darf ihn meist jeder, der da will, einfach anschreiben, ein Klick genügt meist.

Zum Urheberrecht eine kleine Anekdote. E-Mail, kurz vor dem Handy eine kleine Revolution der Alltagskommunikation, ist heute kaum noch zu gebrauchen. Fantastillionen unverlangter Werbesendungen verstopfen die elektrischen Briefkästen, der Spam ("You can't have egg bacon spam and sausage without the spam." Monty Python, SPAM Skit). Eine nette Vorkehrung dagegen hat die Firma Habeas Inc.[80] entwickelt. Erwünschten Botschaften wird in den "Kopfdaten" der Sendung ein Haiku beigefügt. Die Empfänger filtern alles aus, dem das Haiku fehlt. Setzt nun ein Werbeversender die Gedichtzeilen selbst ein um die Filter passieren zu können, so verletzt er das Urheberrecht und kann verklagt werden. Im O-Ton des Anbieters: "The thing that makes The Habeas Warrant Mark so unique is that it is written as haiku, an ancient Japanese poetic form. Since our headers are actual works of art, Habeas can use the powerful legal tools available for copyright and trademark protection to prosecute violators. In fact, Habeas has already shut down some spammers in successful court actions."

Guglielmo Marconi fürchtete, dass das Radio nichts taugt, weil jeder mithören kann, Brecht schlug vor, den Rundfunk um Antwortkanäle zu erweitern, das Internet löste dies in seiner Art ein und wir fragen uns allmählich wieder, ob es nicht besser wäre, wenn nicht jeder mithören könnte. Nicht, weil wir uns verschwören wollen, wohl aber, weil die bloße Erwähnung von z.B. Hugo Boss-Tand in genau dieser Schreibung dank der unermüdlichen Suchroboter der gierigen Anwälte sofort und wahrhaftig eine Rechnung ins Haus bringen kann. Ich wage dieses (willkürliche) Beispiel, weil eine solche Raster-Recherche in der Papierflut kaum möglich ist. "Flirten, Lästern, Tratschen. Und keiner hört mit", wirbt der Deutsche Bundestag in einer "Jugendkampagne" - das Nähere regelt die Telekommunikations-Überwachungsverordnung im Krieg gegen den Terror.

Ein Computer mit Internetanschluss ist kein Atelier mit Galerievertrag. Die Produktionsbedingungen sind andere.[81] Sie sind schwerer auszublenden. Es herrscht eine andere, umfassendere Öffentlichkeit. - Eine, die es ermöglicht, Werk und biografischen Entwurf gemeinsam zu entwickeln, während der herkömmliche Berufskünstler sich heute eher aufspalten, den Clown separat geben muss.

Andere sagen, es herrsche gar keine Öffentlichkeit. Was einer auf einem Computer für andere Netzteilnehmer bereitstellt, sei damit nicht veröffentlicht. Das sei es technisch erst, wenn einer die Daten tatsächlich abruft - und gesellschaftlich derzeit nie: dazu müsse ein ordentlicher Verlag, ein Museum ... Und so Unrecht haben sie nicht, die Unken. Denn Aufmerksamkeit ist nichts, wenn keine Zahlung erfolgt, und Öffentlichkeit nichts ohne Anerkennung.

So bot die Kostenloskultur denn "überwiegend Werke von Hobbykünstlern"[82], die kaum dazu geeignet waren, Arbeitsplätze zu bedrohen. Sie wurden dort nicht zweckfrei, sondern aus Mitteilungsdrang oder ähnlich suspekten Motiven veröffentlicht. Ihnen bleibt vielleicht nur die Unterschrift auf dem Werbepartnervertrag, ein Aufkleber "powered by", eben der Cent per Klick. In diesem Augenblick lässt er den klassischen Künstler an Professionalität weit hinter sich. Weil er nämlich, s.o., über echte Marktdaten verfügt, am Markt handeln kann. Er wird unfrei.

Dass die Rituale der Freizeitfreiheit und ihre Produktion selbst von immenser politischer Bedeutung sind, ist dabei so irrelevant wie die tatsächlichen Mechanismen des Kunstmarktes. "Die Freiheit ist ein Lunapark. Der Friede die Katastrophe." Manifest Dada, letzte Lockerung, Walter Serner. Die kindliche Kunst bedarf der schützenden Arme der Amme. Die sieht man nicht.

Die gibt es gar nicht. Erst kürzlich meinten zu viele Deutsche anlässlich einer Meinungsumfrage, dass das Lesen von Büchern an sich, unabhängig von dem, was darin geschrieben steht, das Gute sei. Das meint auch die Stiftung Lesen und Dieter Bohlen meint es auch, der mit seinen Büchern viele Nichtleser für das Lesen gewonnen haben will.

Das Lesen an sich. Das ist natürlich Politik und in den Augen echter Künstler einfach nur eklig, gehört aber dazu. Wie werden wir Deutschen ein Volk eifrigerer Bilderbetrachter? Wie steht es mit dem Hören von Musik an sich? Dem Sehen von Filmen? Dem Zuschauen beim Tanz? Dem Schnuppern an duftenden Schüsseln? Wollen wir das? Gefährdet es nicht Arbeitsplätze, staunende Blicke von glänzenden Automobilen auf schillernde Plastiken umzulenken?

Das elektrische World Wide Web, alltäglicher Warenhausautomat und Kollage, die sich selber klebt, erlebte die "virtuelle" Rückkehr der Kommerz- und Privatbank weitgehend ohne Schwitters, denn der starb 1948, zu früh um dabei und zu spät um schon ein Gemeinfreier zu sein, ist urheberrechtlich verplombt und nur sekundär im Angebot. Und das ist gut so: denn so machen sie es ja: Rauben & Einfügen. Überführung nach Hannover: 1970. Schutz der Urheberrechte: 70 Jahre. Über den Tod hinaus. Hannover, der letzte Merzbau.

6.

Nun kam die zweite Phase der Kostenloskultur, die des Übergangs. Neue Internetnutzer kamen hinzu, die nicht wussten, was Kostenloskultur bedeutet, nur noch selten daran dachten, selbst etwas beizutragen, aber sahen, das nirgendwo kassiert wurde. Der Ruf der kindlichen Spielwiese ging verloren, der der Abstaubermentalität verbreitete sich, der das Handelsmarketing darauf brachte, den Schnäppchenjäger loszulassen.

Der letzte Schlag der Kostenloskultur ins Kontor der Warenwirtschaft Kunst[83] dauert derzeit noch an: der private Austausch von Kopien digitaler Werke. Hier erwuchs die wirkliche Bedrohung. Kostenloskultur 3. Während die Kostenloskultur des WWW nicht wirklich bestehende Märkte bedrohte - es wurden einfach keine Waren verschenkt -, ist die der Tauschbörsen mörderisch. Musik, Filme, Spiele, Software und zuletzt kopierte Bücher werden seltener gekauft und häufiger gehört, gesehen, gelesen. Zumindest mal: beschafft.

Phase eins brachte das Projekt Gutenberg, das mit Hilfe ehrenamtlicher Zuarbeiter Werke gemeinfreier Autoren verfügbar machte, Phase zwei die Jagd nach dem kostenlosen Download von Bürospielen, Phase drei den weltweiten Raubkopie-Vertrieb. Längst sind die meisten Tauschbörsen selbst kommerziell, verdienen an aggressiver Werbung, dem Verkauf von Nutzerdaten oder dem Zufügen eigener oder fremder Bezahlangebote.

Begleitet wird die neue Kostenloskultur[84] von Reden, wie wir sie aus dem kommerziellen Kunstbetrieb selbst kennen. Die Freiheit der Kunst, der Wissenschaften usw. stehe zur Diskussion. Das Recht auf Privatkopie durch Zahlung von Pauschalen an Verwertungsgesellschaften sei bedroht - und damit der Konsens über das Urheberrecht. Die Musikindustrie, die Softwareindustrie, die Filmwirtschaften antworten, wie sies kennen: mit Prozessen. Zugleich üben sie Druck auf die Parlamente aus, die Rechte der Urheber und Verwerter zu stärken und den "veränderten Gegebenheiten anzupassen."[85] Die Richtung dieser Anpassungen, etwa in Deutschland oder den USA, stellt den Konsens ebenso in Frage. Vor allem der angestrebte Mix aus wirksamem Kopierschutz für Datenträger und stark erhöhten Pauschalen an die Verwertungsgesellschaften stößt auf wenig Begeisterung, ebenso die gleich mitgedachte Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Urhebern und Verwertern (die Generallizenzen brauchen für all die Kanäle) oder die Einschränkungen der Möglichkeiten des Leihverkehrs der Bibliotheken.

Da ist das WWW schon aus dem Spiel.[86] Dem Internet-Hype ist der des Mobiltelefons gefolgt, dessen erster künstlerischer Verkaufsschlager der Klingelton ist. 99 Cent das Stück. Hauptsache, dort entsteht keine Kostenloskultur.[87] Kunst hingegen, ordentliche Ware, wird, so die UMTS-Werbung, natürlich im Angebot sein.

Für die Ästhetik ist im WWW nun die Reklame zuständig. Auf die Begeisterung der Zwanziger Jahre stößt sie dabei nicht. Aber sie ist allgegenwärtig. Werbung, das ist Kunst. Jedenfalls meinen das einige Werbegestalter. Werbegestalter Schwitters meinte das nicht. Merz-Werbe war nicht Merz-Kunst. Die Werber haben jedoch ein gewichtiges Argument auf ihrer Seite - meinen sie. Nämlich Duchamp. Wenn der es fertig bringt ein beliebig Ding in eine Kunstausstellung zu stellen und zu sagen: das ist Kunst - dann könnten sie das auch. Meine Werbung, Kunst. Leider übersehen sie dabei, dass Duchamp sein beliebig Ding in ganz anderer Funktion erscheinen ließ. Eine Maschine in der Fabrikhalle ist etwas anderes als die gleiche Maschine in einer Kunstausstellung. Die Waschmittelwerbung auf der Litfasssäule bleibt Waschmittelwerbung - auch wenn sie in einer Ausstellung der witzigsten Werbeplakate gezeigt wird. Maschinenmessen gibt es schließlich schon länger.

Der prominenteste Vertreter dieser strebsamen Werber ist Michael Schirner, der die neuere Kunst komplett abräumen will. Die Künste sind abgetreten, die Werbung ist noch da. Aber was auch immer er ins Feld führt, eins muss er links liegen lassen: dass das Publikum die Reklame nicht kauft. Kunst ist Ware, Werbung bewirbt Waren. Sie führt einen Zweck mehr. Das ließe sich bei digitaler Werbung vielleicht ändern: schwarzweiße Werbebanner, die bei Zuzahlung farbig erscheinen. Zum Beispiel. Das könnte man ausprobieren, statt nur zu fordern. Mal sehen, ob einer zahlt.

Notizen 6. Werbe-Dada und der Preis

Obwohl Sonnenbaden ein hohes Risiko birgt, nämlich Hautkrebs, gehört es fast zur Allgemeinbildung, dass billige Cremes bei Tests besser abschneiden als manches Markenprodukt.
Götz Hamann und Marcus Rohwetter in der ZEIT, 2003

Die schöne Formel für die Zweckfreiheit des Kunstgenusses lautete einst: interesseloses Wohlgefallen; Kant kannte außerdem unsichtbare Kirchen und Äther. Der Werbung hingegen wird heute eher mit interesselosem Missfallen begegnet. Sie macht sich siebenfach. Und es gibt so viel davon. Allerdings haben sich ihre Methoden verändert. Standen anfänglich Eigenschaften des Angebots im Zentrum der Werbeaussagen, sind es heute Eigenschaften der Person, die angeblich gleich mit erwirbt, wer das Produkt kauft - wobei man mit einem recht bescheidenen Kanon solcher Eigenschaften auskommt. Es ist nicht genug, gute Ware zu erzeugen, wichtig ist auch, daß es die Kundschaft weiß, dachte Schwitters noch. Die Zahl der Produkte ist derweil Legion.

Die Werbewelt tut kund, wie wir sein sollen, nicht, wie ihre Waren beschaffen sind. Da die Plakate und Fernsehspots von den Fabriken kommen, die Preise aber in den Läden gemacht werden, nennt Massenwerbung oft keinen Preis. Nennt sie doch einen, ordnet sie das Angebot in eine Wertehierarchie ein, ohne es zu berühren. Geld ist neutral.

Die Preisfindung am Markt schafft Werte. Der reine Mechanismus ist frei von Ideologie oder Zeitgeist. Die wirkliche Wertschöpfung der Kunst findet hier statt, soweit von Wert für mehr als eine Person die Rede ist. Das individuelle Kunsterleben ist letztlich nicht mitteilbar, das kollektive stürzt den Wert des einzelnen Werkes ins Bodenlose und bindet ihn ans Material.

Die Wertschätzung für ein Werk findet ihren Ausdruck in einer Sprache, die alle verstehen, über den Preis. An dieser Stelle gewinnt der Unterschied zwischen Kopie und Original seine Bedeutung. Die hundert Drucke einer Radierung sind Originale, weil der Markt hier ein eng begrenztes Angebot erkennt. Die 10 Computerausdrucke eines Gedichts sind keine Originale, weil der Markt eine beliebige Erhöhung der Auflage erwarten muss.

Der Akt der Original-Erzeugung ist ein Handeln am Markt: wie und womit will man sich da aufstellen? Wie lässt sich die Behauptung des Originals verteidigen? Billiger sind die Kopien, bzw. die Werke, die nirgends als Original vorliegen, etwa der im Team digital erstellte Animationsfilm - pro Kopie. Je kopierter ein Werk, desto wahrscheinlicher bewegt es sich in einem schon fixierten Preisspektrum. 60 Minuten Musik: 20 Euro. Ein Song, ein Euro.

Die Werbung kennt keine Preisfindung. Sie bleibt ohne Wert. Niemand kauft sie. Allen Cannes-Rollen und Wettbewerben zum Trotz. Die lustigste Werbung, die schönste Werbung, die verblüffendste Werbung ... Wer will das wissen? Werbung ist keine Ware.

Einige Werbemacher, sie nennen sich Kreative, was wohl auch trifft, oder mit amerikanischen Fantasietiteln, wären gerne Künstler. Nicht wirklich, lediglich "mit Anerkennung als Künstler versehen." Vorbereitend verweist Reklamemann Tim Menke darauf, dass "Werbung eine Ware wie alle anderen" ist, die von den Agenturen "unbedingt verkauft" wird und "in beschränktem Umfang über den Preis verglichen"[88] werden kann.

Rechtzeitig zum Auftakt der Neunziger ("diese tollen wilden Jahre, als die SM-Studios auf die Straße gingen") führt dann Michael Schirner den großen Schlag: "In den 60er Jahren machten die Künstler den letzten Versuch, sich gegen die faszinierenden Bilder der Werbung durchzusetzen. Sie probierten es mit einem Trick, sie malten die sehr viel populäreren Bilder der Werbung auf ihre Bilder. Sie machten Pop-Kunst. In diesem Moment war die Kunst der Faszination der Werbung erlegen, sie war ihr Opfer. Als die Künstler merkten, dass sie der Werbung mit Campbell-Suppendosenbildern nicht die Schau stehlen konnten, zogen sie sich vollends aus der Öffentlichkeit zurück und beschäftigten sich nur noch mit sich selbst. Die Kunst, die Werbung malte, war die letzte Kunst, die auffiel. Seitdem findet die Kunst fast ausnahmslos unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt."[89]

... abgesehen natürlich vom Theater, den Konzerten und Tanzvergnügen. Und abgesehen von der Werbung selbst. Denn die erweist sich zunehmend als Kunstvehikel. Was wäre von Schwitters geblieben, außer bewegenden Vorträgen der Ursonate in evangelischen Gemeindesälen, wenn nicht die Werbung bei ihm fleißig nachschlüge?

(Vorschlag: jugendliche Liebesgedicht-Imitate nach Anna Blume; absurd, aber die gibt es. Begeisterte Aufsätze der IT-Popkultur, die Schwitters als Urvater der Internetkultur feiern.)

Die Bahnwerbung 2004: C lg te. "Ohne Plakate fehlt den Marken das Aaah und Oooh!" Merz war keine Marke und kein Logo, sondern ein Programm. Man kann das nachahmen. Man kann das weiterdenken, fortführen usw. Es wird nicht Merz dabei entstehen. Merz ist Kurt Schwitters.

Warum ist Werbung Kunst? Schirner setzt beim Aufhängen der gefundenen Bilder an: Werbung ist Kunst per Willenserklärung. Aber auch, s.o., weil sie die einzige verbliebene Mittlerin des Ästhetischen sei. Das ist angesichts eines bis zur Disfunktionalität überbordenden Produktdesigns, einer sich als Kunst verstehenden Architektur usw. nicht ganz nachvollziehbar. Bleibt Werbung als professionellere Kunst.

 Rechnet sich: die Sonate in Urlauten. Pfeifen Stare sie nach, ist die Tonaufnahme lizenzpflichtig.

Der Künstler ist auch Profi, aber nicht als Kaufmann. Beruflich schafft er seine Werke, bringt sie jedoch nicht zu Markte, hat da ein Agreement mit dem Gelde, dass man sich nicht kennt, hat seine Agenten. Geht abends satt nicht heim. Berufsmittler, Verleger, Veranstalter, Galeristen, Feuilletons und Professoren, die zwischen der Freiheit des Künstlers und der seines Kunden, zwischen Künstler und Konsument, den zwei Seiten, als die Münze stehen. Die Freiheit der Kunst garantiert der Mittelsmann, der den zweckfreien Kunstgenuss nur aus seiner Freizeit kennt. Das Publikum profitiert von dieser Übereinkunft, es erhält reine Kunst. Werbefreie Kunst. Längst ist der Glaube etabliert, Kunst sei ohne Mittler buchstäblich unzugänglich.

In der Werbeagentur heißt der Mittelsmann Kontakter. Der Kreative verkauft ebenfalls nicht. Weniger, weil man ihn davon freihalten will, mehr, weil er es nicht kann, weil Verkaufen eine Kunst für sich ist.

Ästhetisch hat Werbung nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Ein Einheitsbrei entsteht aus Werbung, Entertainment und Infotainment, aus Kunstkopien und Klingeltönen und Homevideo, aus Populärwissenschaft und Populärreligion, das alles verschlingt, seiner ursprünglichen Bedeutung enthebt und zu einem neuen großen Dauerzeitvertreib verschmilzt, an den man sich bald gewöhnt haben wird. Leben im Merzbau fremder Hand.

Das ist so weit gediehen, dass es der Provokation bedarf, hindurch zu dringen. Wieder so ein Schlagwort. Sie gelingt neuerdings seltener. Führte kürzlich "Ich ficke Babys" nach Klagenfurt, weil es Provokation war, kommt heute Albees Ich ficke Ziegen[90] ins Burgtheater, weil es keine Provokation ist.

Und der Unsinn von einst (war aber keiner, sondern särr lustik) gibt Sinn. Schwitters kleines Gedicht für große Stotterer etwa, brachte die Rheinische Schule für Sprachbehinderte dazu, sich Kurt-Schwitters-Schule zu nennen.

Ein Fischge, Fisch, ein Fefefefefischgerippe
Lag auf der auf, lag auf der Klippe.
Wie kam es, kam, wie kam, wie kam es
Dahin, dahin, dahin?

Das Meer hat Meer, das Meer, das hat es
Dahin, dahin, dahingespület,
Da llllliegt es, liegt, da llllliegt, llliegt es
Sehr gut, sogar sehr gut!

...

Während ich dies schreibe, zerstört der israelische Botschafter in Schweden ein Werk des schwedisch-israelischen Künstlers Dror Feiler. Das Bild einer palästinensischen Selbstmord-Attentäterin schwimmt auf einem Behälter voll Kunstblut. "Das ist keine Kunst, das ist widerwärtig", begründet seine Exzellenz die Tat. Beifall gabs von Dienstherrn Ariel Scharon persönlich. Feilers Mutter tritt auf: mein Sohn kämpft mit seinem Werk für den Frieden.[91] Das ist sehr lehrreich.

Hätte Sohnemann nicht für den Frieden, sondern für Nokia gekämpft, hätte der Siemens-Repräsentant mit kühler Miene Strafanzeige erstattet, statt die Faust zu erheben. Keine Kunst durch Werbeabsicht. Aber das ist es nicht. Ohne Preis nix Kunst, mit oder ohne Kunstblut.

7.

Damit sind wir wieder beim Kunstwerk als Ware angelangt, das Ware sein muss, um zweckfrei sein zu können. Der klassischen Agentur-Werbung bleibt - außer der Tat, die überzeugt immer - nichts, als sich neue Argumente zu suchen. Würde sie bei Schwitters nicht nur die Drucksachen kopieren, sondern auch die Texte lesen, müssten sie auf die Idee kommen, bei der politischen Kunst nachzuschauen, damals als sie unter dem Druck der Vorwürfe der Zweckfreien stand. Auch Dada hat noch einen Koffer in Berlin.

Die spannenden Fragen kommen zum Schluss. Die nach den Mischformen. "Sprüh' auf jede lila Kuh: CDU" ist noch leicht als plattes Reklamegereime für eine Partei zu durchschauen. Mit Musik wird es nicht besser. Woher stammt die Musik? War sie einst Kunst? Der Reim war mal Gedicht.

Was aber ist ein Auszug aus einem Bühnenwerk, aus einem Roman, eine Montage aus mehreren Stellen des Romans, veröffentlicht zu keinem anderen Zweck als dem, ein gedrucktes Exemplar zu verkaufen?

Verstümmelte Bilder, verzerrte Musik, der Pointen beraubte Witze?

Was wäre ein "interaktives" Online-Spiel, das je nach Tiefe der Kunstversenkung Teile eines Bildes, Films, Musikstück usw. freigäbe - ohne anderen Zweck als den der Verführung zum Kauf.

Und was wäre ein Internet-Suchspiel über Hunderte von Fake-Websites, Spuren in Diskussionsforen, im Usenet, Fragen im Chat, das eine Verschwörung des Kunstbetriebs aufdeckt - deren Auflösung man in einer Kriminal-Oper in der Vorweihnachtszeit beiwohnen kann?

Kunst, Literatur, Musik ... oder Reklame, Bedarfsweckung, Versuchung? Oder liegen eher Vergleiche mit den Lizenzmodellen des Softwaregeschäfts nahe? Freeware- und Public Domain-Gedichte, Fotos mit und ohne Werbung, Gratis-Spielfilme, die nur ein paar Benutzerdaten sammeln, funktionsbeschränkte Demo-Webkunst, Kunst-Shareware? Aquarell in blauen Klängen 2.1 Vollversion per Post.

Ist ein Ausstellungsplakat Kunst? Nein, wenn es ums Honorar geht: Gebrauchskunst. Es sei denn, der Name des Künstlers am Markt ... Heute finden wir Beispiele, die einen Unterschied geradezu berechenbar machen. Wie viel Prozent welcher Art Zweck enthält ein Werk. Viel ist noch zu tun. Zu einer kommenden Netzkunsterkennungs[92]-Software könnte die Zweckfreiheit der Künste, derart quantifiziert, einen nützlichen Beitrag leisten. Ich schlage vor sie in Merz anzugeben, des Lied ich sing.

 



[1] Tatsächlich. Jedenfalls im Lied von Werner Gneist. "Viel Glück und viel Segen / Auf all deinen Wegen, / Gesundheit und Frohsinn / Sei auch mit dabei", singt man heute nicht mehr "Gesundheit und Wohlstand."

[2] Alle Schwitters-Zitate stehen kursiv und sind entnommen aus: Kurt Schwitters. Das literarische Werk. Hg. v. Friedhelm Lach. Bd. 1, 5. Köln, 1973ff.

[3] Schmid, Katja: Stare zwitschern Ursonate - und stellen damit das Urheberrecht in Frage. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/7934/1.html

[4] s.a. "Kunst, Kunstausbildung und Kunstförderung sind wie der Sport einem erheblichen Legitimationszwang ausgesetzt. Im Erleben vieler Kunstschaffender und Sportler scheint in der augenblicklichen Zeit nur das zu zählen, was etwas kostet oder "bringt" im Sinne von vorzeigbarer Leistung, Gewinn oder Erfolg. Ist das wirklich so? Ist die Zweckfreiheit der wichtigen Kulturphänomene Kunst und Sport in Gefahr, noch mehr instrumentalisiert und verzweckt zu werden? Oder sollten wir unverkrampfter, positiver und kreativer einer zunehmenden ...konomisierung des Lebens begegnen und uns darauf mehr konzentrieren, was wir wirklich leisten? Der Direktor des Sportzentrums der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Dr. Robin Kähler, und der Rektor der Muthesius-Hochschule, Prof. Dr. Ludwig Fromm, werden sich in einem lockeren Dialog den Antworten auf diese Fragen zuwenden und für die Zweckfreiheit der Kunst und des Sports streiten. " - Veranstaltungsankündigung der Muthesius-Hochschule, 2001. http://www.muthesius.de/~forum/archiv/1032.html

[5] Im Unterschied zum Maler, der sei "ein Mann, der das malt, was er verkauft."

[6] Horn, William van: Katastrophe am Kasperkogel. Dt. v. Daibenzeiher, Peter. in: Walt Disneys Micky Maus Magazin 5. Berlin, 2004.

[7] "Ja: 'Was soll das denn?' mag schon so manchem bei einer Begegnung mit zeitgenössischer Bildender Kunst auf der Zunge gelegen haben. Diese Frage nach Sinn und Zweck von Kunst ist nicht nur berechtigt, sondern sogar notwendig: Zum einen müssen wir uns als Betrachter immer wieder aufs Neue fragen, wo unser persönlicher Zugang zu einem Kunstwerk liegt, wie wir zu unserem ganz eigenen Verständnis gelangen können. Zum anderen birgt die Fragestellung eine gesellschaftliche Dimension.
Die Diskussion um eine Autonomie, also Zweckfreiheit der Kunst erlangte in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt, als in der Postmoderne alles möglich geworden schien. Nicht zufällig folgte in den 90er Jahren dann die Auseinandersetzung über ein Ende der Kunst ? mit dem Zweck schien auch der Sinn verlorengegangen zu sein. Inzwischen scheinen die Grenzen von Kunst in der Gesellschaft durchlässiger geworden zu sein, wie auch jene zwischen Künstlern und Betrachtern oder Zweck und Zweckfreiheit." - Was soll Kunst? (idw) Fachhochschule Dortmund. http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/3627/

[8] So ist es Sitte, stets deutlich mehr in Kunstwissenschaften als in Kunstförderung zu investieren, also die Stellung der Kunstmittler weiter zu stärken

[9] etwa im Rahmen von "Kunst am Bau"

[10] Das Land Baden-Württemberg etwa entschied kürzlich, die Förderung von Literaturzeitschriften, die die Aufgabe der Entdeckung neuer Talente wahrnehmen, einzustellen und stattdessen Lesungen bereits etablierter Autoren zu fördern. Dies wurde vorher mit dem Verband deutscher Schriftsteller abgesprochen.

[11] "In ihrer Zweckfreiheit sind alle Werke der Kunst verbunden. Sie will uns nichts geben, als sich selbst. Belehrung, Erbauung, Erhebung, aber auch Kurzweil und Unterhaltung. Nur das." - Ziemann, Gerd: Übungsblätter 'Grafisches Werken'. München,1979

[12] "Nach einer geläufigen Intuition in unserer Sprache und unserem Denken sind die Bereiche Kunst und Technik dadurch voneinander geschieden, dass Technik zweckgerichtet und rational gedacht wird, während Kunst mit Zweckfreiheit und Intuition verbunden wird." - Kogge, Werner: Kunst, Können, Technik in der Philosophie Martin Heideggers. http://www2.rz.hu-berlin.de/kulturtechnik/kommentar.php?dsn=32

[13] wer das glaubt, lese z.B.: Krull, Felix: Literatur für Hochstapler. Frankfurt, 1989. (Vergriffen.)

[14] "Die Abgrenzung unserer Bildwerke von bildender Kunst ist heute nur auf Grund einer überlebten Dogmatik möglich. Sonst sind die Übergänge fließend. Von der These ausgehend, dass bildnerische Gestaltungskraft in jedem Menschen angelegt ist, müssen wir Tradition und Schulung als äußere kulturelle Verbrämung des primären Gestaltungsvorganges ansehen, der unter günstigen Umständen aus jedem Menschen hervorbrechen kann." - Prinzhorn, Hans: Bildnerei der Geisteskranken. http://www.sgipt.de/kunst/prinzh/prinDII6.htm

[15] "Linke Kunstkritik kann nur Kritik der genannten Mystifikationen sein (z.B. Kritik am Pop-Mythos von Revolte) und niemals Denunziation des Bedürfnisses nach künstlerischer Autonomie, weil das ein Bedürfnis nach Reflexion, Zweckfreiheit und einem Leben jenseits von Sachzwängen ist, die durch jene Form der gesellschaftlichen Arbeit diktiert werden, die als Kapitalverhältnis (Wert) bekannt ist." - Jacob, Günther: Was ist ein Protestsong? http://www.t0.or.at/~oliver/protes11.htm

[16] Das ist bestenfalls Satire. Kunst will natürlich dauernd was. Ein Beispiel: "Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar", notierte Paul Klee.

[17] Grünbein, Durs: Mein babylonisches Hirn - in: Die Schweizer Korrektur, hg. v. Urs Engeler, Basel 1995

[18] "Ausgangspunkt wäre die Vermutung, dass die sinnliche Erfahrung des Zuschauers beim Anschauen von Sport - im TV genauso wie im Stadium - ganz erstaunlich eng korrespondiert mit der "kanonischen" Definition ästhetischer Erfahrung. Die Korrespondenz wird jedoch konstant wie systematisch übersehen, da die eingeführte akademische Kultur größte Schwierigkeiten hat mit einer Ästhetik, die nicht in der Form eines Buches, eines Museums oder einer Konzerthalle auftritt." - Gumbrecht, Hans Ulrich: Sport als Testfall globalisierter Kunst. http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/niels.werber/Kultur/sepp.htm

[19] Extrahiert 03.-10.2003 aus Online-Ausgaben amerikanischer Zeitungs-Feuilletons mit Hilfe einiger PHP-Skripte und MS Word-Makros unter Einbindung von "Autozusammenfassen." Die Übersetzung besorgte Systran Translation 4.0, einzelne Formulierungen habe ich behutsam nachgebessert.

[20] Programm der CDU Mannheim zur Gemeinderatswahl 1999, Thesenpapier. http://www.cdumannheim.de/Programm/Papier.pdf

[21] Ein auch dann beliebtes Argument, wenn es nicht um die Werke, sondern um die Künstler geht

[22] "Die mittlerweile schon zehn Jahre währende Rushdie-Affäre hat schlaglichtartig sichtbar werden lassen, dass die westliche Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die es der Kunst freistellte, alles zu sagen, solange es Kunst bleibt, in der Welt noch immer eher ein Sonderfall denn die Regel ist." - Plumpe, Gerhard: Satanische Verse - tödliche Literatur. http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/niels.werber/Kultur/gerhard.htm

[23] "In einem schon 1919 geschriebenen Aufsatz "Merz" erklärte Schwitters deshalb Kunst als einen Urbegriff, erhaben wie die Gottheit, unerklärlich wie das Leben, undefinierbar und zwecklos. ... Damit hatte Schwitters entschieden die Weichen gestellt für Künstler, die nach den Erfahrungen der Nazidiktatur, in der für die Macht nicht verwertbare Kunst als entartet erklärt und ausgemerzt wurde." - Döhl, Reinhard: Kunstraum / Sprachraum. http://www.netzliteratur.net/kuspraum.html

[24] Enzensberger, Hans Magnus: Die Entstehung eines Gedichts. Frankfurt, 1987

[25] Majakowski beschreibt darin die Entstehung eines seiner Gedichte, mit der er einer durch den Selbstmord eines Lyrikerkollegen ausgelösten Welle von Nachahmungstaten entgegentreten wollte. http://textz.de/majakowski.pdf

[26] Gerz, Jochen im Gespräch mit Sara Rogenhofer und Florian Rötzer. - in: Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Hg. v. Florian Rötzer, Frankfurt 1991

[27] Gerz: ebd.

[28] "Bei irgendeinem Autor habe ich neulich die skeptisch gemeinte Bemerkung gelesen, das Internet sei eine große Baustelle. Ich würde das positiv sehen: solange das Internet einer Baustelle gleicht, stagniert es nicht, bleibt es flexibel und veränderbar. Dieses Nicht-Fertige scheint mir wichtig zu sein." - Döhl, Reinhard. Interview: http://www.morgenwelt.de/kultur/9907-doehlinterview.htm

[29] "Es war dieses "Merzgesamtkunstwerk", das Schwitters als künstlerisches Ziel seit 1919 ständig vorgeschwebt und das er - zum erstenmal 1919 - programmatisch gefordert hat: Ich fordere die Merzbühne. - Ich fordere die restlose Zusammenfassung aller künstlerischen Kräfte zur Erlangung des Gesamtkunstwerkes. Ich fordere die prinzipielle Gleichberechtigung aller Materialien [...] Ich fordere die restlose Erfassung aller Materialien [...] Ich fordere die gewissenhafteste Vergewaltigung der Technik bis zur vollständigen Durchführung der verschmelzenden Verschmelzungen [...] - Vor allen Dingen aber fordere ich die sofortige Einrichtung einer internationalen Experimentierbühne zur Ausarbeitung des Merzgesamtkunstwerkes. - Ich fordere in jeder größeren Stadt die Einrichtung von Merzbühnen zur einwandfreien Darstellung von Schaustellungen jeder Art. ["An alle Bühnen der Welt"]." - Schwitters, geschickt zitiert in: Döhl, Reinhard: Kurt [MERZ] Schwitters. http://www.uni-stuttgart.de/ndl1/schwitters1.htm

[30] "Das ist natürlich auch ein bezeichnender Beleg dafür, wie Schwitters es bei jeder Gelegenheit verstand, Reklame in eigener Sache zu machen." - Döhl, Reinhard: Kurt Schwitters' "Ursonate". Text als Partitur (3) http://www.netzliteratur.net/experiment/schwitters3.htm

[31] Nicht wirklich: "Dem Wunsch nach einem Dada-Imperium, den Dada Tzar, der grand maître der Weltbewegung Dada einmal äußerte, wurde Rechnung getragen erstens durch den gezielten Aufbau von Kunst als ein Produkt, das international markt- und konkurrenzfähig ist, und zweitens durch eine Forcierung der internationalen Beziehungen." - Mersmann, Birgit: Weltanschauungen sind Vokabelmischungen. http://www.inst.at/trans/13Nr/mersmann13.htm

[32] Je intensiver das Kunstwerk die verstandesmäßig gegenständliche Logik zerstört, umso größer ist die Möglichkeit künstlerischen Aufbauens. Schwitters.

[33] "Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als die Kulturgüter." - Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte. in: Gesammelte Schriften, Frankfurt 1989.

[34] Aus dem Gedächtnis zitiert.

[35] wie auch: "Das Internet ist kein Medium für die geschlossene Form." - Döhl, Reinhard. Interview: http://www.morgenwelt.de/kultur/9907-doehlinterview.htm

[36] "Der Merzbau in Hannover war ein fantastischer, verwirrend wie abstrakt konstruierter Innenraum, Wände und Decke waren mit vielfältigen plastischen Formen überzogen und verbaut. Angefüllt war der Raum mit Materialien, Fundstücken, "Spolien und Reliquien", die Schwitters in zahlreiche Grotten eingesetzt und zum Teil zugebaut hatte, so dass sie nur noch in Erinnerungen an einen früheren Zustand vorhanden waren. Der Merzbau war nämlich aus "Prinzip" unvollendet, wuchs immer weiter und veränderte sich fortwährend." - http://www.merzbau.org/Schwitters.html

[37] Auf den Stil berief sich damals u.a. auch Gottfried Benn - jedoch keineswegs unpolitisch, sondern in gefährlicher Nähe zum NS-Regime, dem er sich geradezu anbiederte, wie u.a. in seinem Aufsatz "Der Staat und die Intellektuellen", 1933. Bloß nutzte ihm das wenig: die Braunen mochten keine Expressionisten. Der Stil kommt überhaupt meist da ins Spiel, wo das Einkommen schon gesichert ist. Das zumindest hatten Wilde, Schwitters und Benn gemeinsam.

[38] Gar nicht wahr: es war Goebbels, nicht Ziegler, der vorschlug, die verschmähten Werke nicht zu vernichten, sondern ins Ausland zu verkaufen.

[39] "...die theoretische und praktische Aufhebung der Theologie in Ästhetik und Kunst wird konterkariert durch den umgekehrten Prozess einer Ästhetisierung der Religion und Theologie." - Müller, Ernst: Beraubung oder Erschleichung des Absoluten? in: Die Gegenwart der Kunst. München, 1998.

[40] Die Frankfurter Hölderlin-Edition (Band 9, 84) führt mehrere Varianten des Textes auf. Die von Klein verwendete - und hier zitierte - ist nicht dabei. (Zum Vergleich die heute gängigste Version: Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen, / Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen, / April und Mai und Julius sind ferne, / Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne!) - Klein, Gideon: Madrigal 1943. Prag (CHF) und Berlin (Bote & Bock), 1993.

[41] http://wettbewerb.ibm.zeit.de/teilnehmer/fendt_ku/index.htm (Dort aber nicht mehr erreichbar. Die Veranstalter des bisher wichtigsten deutschsprachigen Internet-Literaturwettbewerbs haben sich entschlossen, alle Daten zu löschen.)

[42] Döhl, Reinhard: unbewältigte vergangenheit. in: wie man so sagt. gedichte. o.J.

[43] Olivia Adler "schrieb" gar einen begehbaren Roman. Mit einem Möbelrückprogramm für Heimgestalter. Leider wurde das Projekt inzwischen eingestellt. http://www.cafe-nirvana.com/roman/

[44] http://www.merzbau.org/index.html

[45] "Auch die Rolle und Bedeutung Kurt Schwitters' für die Kunst des 20. Jahrhunderts wird erst allmählich erkannt. Das gilt für seine Ansätze akustischer, konkreter und visueller Literatur, die Entdeckung der Banalität, des Fundstücks wie die Vermischung der Kunstarten." - Döhl, Reinhard: Text - Bild - Screen // Netztext - Netzkunst. http://auer.netzliteratur.net/solothurn/solothurn.html

[46] Grether, Reinhold: Sehnsucht nach Weltkultur: Grenzüberschreitung und Nichtung im zweiten ökumenischen Zeitalter. Dissertation. Konstanz, 1994. Ausgerechnet diese Arbeit ist über das WWW seit Ende 2003 nicht mehr zugänglich.

[47] In der Science Fiction-Serie "Star Trek" treten die "Borg" auf, eine Spezies gleichgeschalteter Ex-Individuen, deren Körper durch allerlei elektrische Krücken verbessert sind. Ursprünglich ein Bild für die "kommunistische Bedrohung der freien Welt", geben die Borg in den Ländern des Südens inzwischen das Bild des westlichen "Kulturimperialisten". "We are Borg. Resistance is futile. You will be assimilated," lautet ihr Schlachtruf.

[48] "Kunst und Literatur schreiben wir daher ohne Anführungszeichen nur dann, wenn wir Werke der westeuropäischen Moderne meinen. Hier - und offen ist, ob nur hier - sind Kunst und Literatur als ausdifferenzierte Sozialsysteme der Gesellschaft verfasst und ausgestattet mit eigenem Code, eigenen Programmen, spezifischer Funktion. Belegt ist diese Autonomie nur für die westeuropäische Kunst der letzten zwei bis drei Jahrhunderte - und bislang nirgendwo sonst. Freilich sieht man dies den Werken nicht an." - Kretzschmar, Dirk u. Werber, Niels: Globalisierte Kunst? http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/niels.werber/Kultur/kultur.htm

[49] "Kein Wunder, dass Holtrops Forderung nach einem "Ende der Kostenloskultur" in kurzer Zeit so populär geworden ist. Jeder, der irgendwelchen "Content" hat, versucht, ein Kassenhäuschen davor aufzubauen und so die Kosten wieder hereinzuholen, bevor VC oder Controller den Hahn abdrehen. Der Versuch erscheint um so erfolgversprechender, je weniger kostenlose Angebote es anderswo im Netz gibt. Berater, von denen vor nicht allzu langer Zeit freilich noch anderes zu hören war, haben nun eine neue Direktive im Sortiment: "Stellen Sie um Gottes Willen ihr kostbares Knowhow nicht ins Internet, und erst recht nicht kostenlos - sie machen sich Ihr ganzes Geschäft kaputt." - Charlier, Michael: Vom Pay-TV zum Pay-Net. http://www.kommkonzept.de/alt/wissen/mc_kostenlos.shtml

[50] Aber: "Wenn nach der ersten Aufgeregtheit der 'Gründerjahre', z.B. in den projizierten Thesen zur heutigen Gesprächsrunde, von nicht erfüllten Hoffnungen gesprochen wird, geschieht dies voreilig, wird vergessen, dass es sich beim Internet und seiner Schreib- und Lesemaschine um ein Medium in statu nascendi handelt, das sich eigene Gattungen zu seinen Bedingungen erst einmal entwickeln will. Zwischen welchen Positionen dies geschehen kann, versuche ich mit Blick auf das ältere akustische Medium Rundfunk anzudeuten." - Döhl, Reinhard: Voraussetzungen. Schrift und Bild in Bewegung. http://www.netzliteratur.net/voraussetzungen.htm

[51] http://www.obn.org/reading_room/writings/down/vk_wnk_02.pdf

[52] http://www.fabrik-ver-kauf.de/

[53] "Kommerziell war und ist Fabrikverkauf übrigens nach Internetmaßstäben ein großartiger Erfolg und während allenthalben und andauernd die Börsenwerte von Internetfirmen am Boden liegen und "start up" mittlerweile als "and quickly come down" buchstabiert wird, schrieb Fabrikverkauf im Geschäftsjahr 1999 und 2000 eine dicke schwarze 0,0001 nach dem Komma. Man könnte sich fragen, ob Fabrikverkauf nicht als erstes Kunstprojekt im Internet der New Economy die Hand zur Versöhnung reichen, ins Consulting-Geschäft einsteigen und E-Commerce Firmen beraten sollte beim Farbwechsel von rot zu schwarz - schon immer ein künstlerisches Kerngeschäft..." - Auer, Johannes. Interview: http://www.dichtung-digital.com/2001/07/14-Auer-Doehl/

[54] http://www.etoy.com/

[55] http://timezone.etoy.com/

[56] "Der Vorwurf, er sei zu didaktisch, mag er so nicht stehen lassen, da er eben nicht an die unmittelbare "Wirkung" von Kunst glaubt..." - Hinterleitner, Karin: Klaus Heid und die Kunst der Handlung. http://www.medienkultur-stuttgart.de/thema02/2archiv/news3/mks_3_heid.htm

[57] Ist das Nutzlose das Herz der Kunst, entehrt jeder Zweck das Werk. Nein? Dann ist Nutzlosigkeit vielleicht eine Schande. Die Parteien: 1. absolute Künstler (Gott /AK), kein: Schmutz, Zweck, Verstehen, Behaupten. 2. relative Künstler (Propheten), ein: Zweck (Verkauf (VK), Partei (PK), Lust (LK), Erleuchtung (EK)...); kein: Zweitzweck. 3. Kunsthandwerker (Viele Götter), viele: Zwecke. Bsp.: Verkauf +Lust =Porno(PKhw). Die Streichung des Verkaufs aus der Zweckliste ließe sofort absolute Werke entstehen (VK-V=AK; PKhw-Zweck(x)=LK).

[58] "Die Kunst entlässt sich aus der selbst auferlegten Zweckfreiheit und mischt bei der Formatierung gesellschaftlicher Spielregeln mit. Soziale Intervention soll aus dem Ghetto der Selbstreferenzialität des Betriebssystem Kunst befreien." - Hinterleitner, Karin: Klaus Heid und die Kunst der Handlung. http://www.medienkultur-stuttgart.de/thema02/2archiv/news3/mks_3_heid.htm

[59] Ja, was kann sie denn sein? Werkbeispiele ohne Ende. Aber nichtmarxistische Theorie? Kaum. Hier ist noch Wesentliches zu leisten.

[60] http://www.obn.org/reading_room/writings/down/vk_wnk_02.pdf

[61] Ein Gebiet? Ein Raum? Betreten? Nein, natürlich geht es um Zeit, die wir verbringen. Ohne all die schiefen Raummetaphern bliebe von mancher netztheoretischen Aussage nichts mehr übrig. Doch Wissenschaft ist längst auch Dada.

[62] Die Gazelle zittert, weil der Löwe brüllt. Die Hyäne wittert. Doch die Kunst erfüllt. Schwitters.

[63] Idensen, Heiko: Die Poesie soll von allen gemacht werden! http://www.netzliteratur.net/idensen/poesie.htm (u.a. vielen anderen Orten, Idensen verwendet seine Sätze immer wieder)

[64] "In letzter Zeit ist jedoch die "der Link ist alles"-Euphorie abgeklungen, und seine Bedeutung wird kritisch hinterfragt." - Auer, Johannes: Text - Bild - Screen // Netztext - Netzkunst. http://auer.netzliteratur.net/solothurn/solothurn.html (Diese Bedeutung meint nichts anderes als eben das WWW. Alles andere, was der vernetzte Heimcomputer zu bieten hat, bedarf des Webs nicht.)

[65] http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/nettime-l-9701/msg00030.html

[66] "Der gedruckte Bogen, die Unendlichkeit der Bücher, muss überwunden werden. DIE ELEKTRO-BIBLIOTHEK." - Lissitzky, El: Topographie der Typographie. In: El Lissitzky Maler Architekt Typograf Fotograf. Dresden, 1976

[67] "Und die zweite Möglichkeit, die das Internet hat, ist überhaupt noch nicht ausgeschöpft: die würde nämlich voraussetzen, dass man sich einmal Gedanken darüber macht, worin die Grammatik des Internet besteht. Über das Repertoire - die Sprache, die Bilder etc. - verfügen wir bereits. Aber die Grammatik müssen wir erst noch zu beherrschen lernen. Und das ist das wesentlich Spannendere!" - Döhl, Reinhard. Interview: http://www.morgenwelt.de/kultur/9907-doehlinterview.htm

[68] Lialina, Olia: Ein Link wäre schon genug. http://art.teleportacia.org/office/du.html

[69] Lialina: ebd.

[70] http://www.backspace.org/iod/

[71] "Es entspricht dem Phänomen einer Mischform, dass sich in ihr Künstler verschiedenster Herkunft ebenso begegnen wie eine seit der Jahrhundertwende zunehmende Zahl sogenannter Doppelbegabungen, wie schließlich jener von Schwitters proklamierte Typ des Gesamtkünstlers." - Döhl, Reinhard: Schrift und Bild / Bild und Schrift. http://www.netzliteratur.net/experiment/schrbild.htm

[72] Morgenstern, Christian, Alle Galgenlieder. Frankfurt, 1973

[73] "Statt selbstreferenzielle Kunst zu produzieren und zu rezipieren, können sich KünstlerInnen und Kunstinteressierte auf dieser Plattform endlich ohne Vorwand über das unterhalten, was Sie am meisten interessiert: sich selbst und ihre persönlichen Krisen." - Karin Hinterleitner, Karin: Klaus Heid und die Kunst der Handlung. http://www.medienkultur-stuttgart.de/thema02/2archiv/news3/mks_3_heid.htm

[74] http://www.berlin.heimat.de/home/softmoderne/SoftMo99/magazin/nl_rutschky_totdicht.html

[75] Etwa 50 der rund 450 Autoren, die seit 1994 ihre Texte in der Ende 2003 eingestellten Textgalerie (textgalerie.de) und ihren Vorläufern publizierten, wechselten zu einem Buchverlag.

[76] Dass das auch für Europa der Wille der Bundesregierung war, bestätigte mir das Bundesfinanzministerium 2003 auf Anfrage schriftlich.

[77] Kunst ist ja mehr als einfach nur da: "Von hier ließe sich auch leicht der sogenannte Wirklichkeitsbezug herstellen. Es ist mehr als eine Binsenweisheit, dass jede Zeit ihre speziellen künstlerischen Themen und Probleme hat. Schrift und Bild scheint mir jedenfalls ein solches Thema zu sein." - Döhl, Reinhard: Schrift und Bild / Bild und Schrift. http://www.netzliteratur.net/experiment/schrbild.htm

[78] Goldhaber, Michael H.: Kunst und die Aufmerksamkeitsökonomie im wirklichen Raum und im Cyberspace. http://www.heise.de/tp/deutsch/kolumnen/gol/2240/1.html

[79] s. Notizen "Werbe-Dada und der Preis"

[80] http://www.habeas.com/

[81] "Indem das Internet Telegraph und Textspeicher zugleich ist und Algorithmen ausführt, vereint es die Funktionen von Buch, Bibliothek, Salon und poetischer Maschine." - Cramer, Florian: Literatur im Internet. http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/homepage/writings/net_literature/general/alg_1999/alg-literatur_im_internet.html

[82] Kommentar eines Jurymitgliedes des Internet-Literaturwettbewerbs Pegasus 97.

[83] "Kultur - und die Verwertung geistigen Eigentums insgesamt - ist ein Wachstumsmarkt. Schon vor Jahren verblüffte der britische Premier Tony Blair einen Gewerkschaftstag mit der Erkenntnis, dass die "Rückflüsse aus internationalen Tantiemen der Rockmusik die Exporterlöse der britischen Stahlindustrie übertreffen." - Wischenbart, Rüdiger: Das launische Publikum - Kultur und Konsens. http://www.perlentaucher.de/artikel/1197.html

[84] "Digitale Kompressionstechniken wie MP3 und Tauschbörsen wie Napster bewirkten, dass für einige Jahre im Internet ein Überfluss an Kulturgütern und an Informationen vorhanden war. Dies kam zwar den KonsumentInnen und vielen, insbesondere weniger bekannten KünstlerInnen zugute, schmälerte jedoch die Umsätze der großen Medienkonzerne. So ist es kein Wunder, dass sie versuchen, diese "Kostenloskultur" im Internet mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu zerstören." - Teaser zu: Rubbel, Benedikt: Abschied vom freien Austausch. http://www.bdwi.de/forum/fw2-03-15.htm

[85] "Die Gesellschaft beeinflusst das Web stärker als das von den Nutzern vorgefundene Web die Gesellschaften - anders als von vielen Netzkritikern erhofft. Und die technologiekritischen Cyberspacepioniere haben sich selbst ins Abseits gestellt." - Lüke, Falk: Willkommen in der Normalität eines entzauberten Mediums. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/mein/16073/1.html

[86] "10 Jahre nach der Erfindung des World Wide Web ist das Internet in einer Normalität angekommen. Von der elitären Schar auf Kostenloskultur getrimmter, technikbegeisterter Wissenschaftler und Studenten akademischen Umfeldes ist nur noch wenig zu sehen. Verbittert betrachten sie, wie Kommerzialisierung und Allgemeinverfügbarkeit das einstige Werkzeug intellektueller Kreise zu einem gigantomanischen Shoppingcenter mit Einbahnstraßenstruktur verändern. Ihre übertriebenen Utopien vom Weltfrieden durch Netzwerke und den Futurehype der Webromantiker hat die Netzelite vergangener Tage in kulturpessimistische Betrachtungen der ehedem virtuellen Realität eingetauscht." - Lüke, Falk: ebd.

[87] "Im Internet hat sich dagegen eine so genannte Kostenloskultur etabliert. Die Nutzer haben verinnerlicht, dass die Nutzung der im Internet angebotenen Dienste größtenteils umsonst zu haben ist. Wenn sich ähnliches auch beim UMTS durchsetze, dann sei für die Mobilfunkbetreiber "Polen offen", schätzt Friedrich. "Noch können sie dieser möglichen Entwicklung einen Riegel vorschieben". ... Die Dienste nicht kostenfrei anzubieten, ist nach Meinung des Experten auch im Sinne des Verbrauchers. Hätten die Nutzer erst begriffen, dass vieles auch kostenlos zu erhalten ist, würden viele innovative Dienste erst gar nicht angeboten, da der Anbieter diese den Kunden nicht in Rechnung stellen kann." - Gatzke, Marcus: UMTS droht Kostenlos-Mentalität. http://www.netzeitung.de/wirtschaft/254920.html

[88] Menke, Tim: Werbemarketing. in: DWG, Frankfurter Protokolle; Bd.1. Bad Nauheim, 1982

[89] Schirner, Michael: Werbung ist Kunst, München, 1988

[90] Edward Albee schrieb, der bewährte Autor, das Bühnenstück über die Ziege, "The Goat or Who Is Sylvia?", warum? Wozu? Auftritt Martin, gesteht seiner Frau und verteidigt seine Liebe zur Ziege. "Es ist mehr als Ficken", sagt er. Sie glaubt ihm wenig.

[91] nach http://www.spiegel.de/

[92] Später kommen die Liebesgedichte.

 

Eine automatische ZusammenfassungAcrobat dieses Textes erschien in:
$wurm = ($apfel>0) ? 1 : 0, memoscript für reinhard döhl, Zürich, 2004