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Freisprechstellen
Eben noch steht der Dichter im Klassenzimmer. Zwanzig Schulkindern sagt er das Gedicht frei. Heute, sagt er, sei das Gedicht nicht bloß schön, es entstünde, sagt er, indem er die Sprache abschritte, quasi kultiviere, ihr eine Form gäbe, die keiner Gewohnheit sich füge, außer, sagt er, der seinen, das sei, sagt er, nicht leicht zu lesen, schwierig sogar, man müsse mit Akribie sich das Gedicht aneignen, es zu seinem geistigen Eigentum machen, der Freiheit, sozusagen, teilhaftig werden, sie, sagt er, mit nach Hause zu nehmen.
Dann aber muss er fort, sich seinen Mantel überwerfen, rasch die nötigen Formulare zeichnen, ein Gruß noch, eine Kusshand für die Frau Lehrerin, muss sich beeilen, seine U-Bahn zu erreichen, die nächste führe Minuten zu spät, den Minister zu treffen, zum Mittagessen sogar in dessen Lieblingsrestaurant, eine Ehre sei das und wichtig, denn ihm, dem Dichter, würden die Gedichte gestohlen, heutzutage, raubkopiert und im Internet verbreitet, sein geistiges Eigentum, da müsse der Minister endlich und entschieden etwas tun.