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Counter

    gratis?

Warst du hier? Ach, das kann ich nicht wissen; Nr. 442 war hier. Sie sind schon ein eigentümliches Völkchen, diese Surfer, ziellos unterwegs Zeit zu vertreiben, immer bereit, einem Link ins Ungewisse zu folgen, geschult an der TV-Fernbedienung und bewährt im Vergessen. Dann wieder zu Hause.
Nr. 443. Daheim auf der eigenen Hompepage, einer bunten Ansammlung privater Bilder und Enthüllungen, auf Nutzen getrimmt durch Surftips: klick doch mal dahin. Natürlich muss was geboten werden, damit jemand kommt - es soll doch jemand kommen? - und so konkurrieren wir unvermittelt mit den großen, den kommerziellen Medien. Dies ist mein Hund, dies ist meine Katze, schau dir meine Hobbies an, alles Wissenswerte zu Makramee.
Seichter Unfug, schimpfen sie, die etablierten Pay-per-View-Anbieter - aber warum eigentlich? Wer ein bißchen sich wachhält, sieht gleich, dass sie vom selben Schlag sind, beeindruckend professionell zwar, im Grunde aber so beliebig wie überflüssig. Recht hat er, der Surfer: etwas ähnliches findet man überall. ARD, ZDF, Spiegel, taz und Bildzeitung - das sind alles nur Homepages, wöchentlich, täglich oder stündlich aktualisierte, teils in wirklich guter Qualität, aber kaum wichtiger als Freddys Freunde-Seite. Die aber verkaufen und zählen jedes Stück, fahnden nach jedem Druck auf den Einschaltknopf, während wir, die Bastler kleiner bunter Online-Seiten, alles umsonst tun und keine Ahnung haben, wen's interessiert.
Ist uns das egal? Mitnichten. Ob es sich lohnt, wollen wir wissen - und es lohnt sich, wenn's jemand beäugt. Der, wir kennen ihn ja nicht, wird zur bloßen Zahl, zur Nummer. Auswege bieten Gästebücher von der Stange, geschmückt mit rotierenden Werbebannern und verspielten Kommentaren, flüchtigen Notizen einiger, die mal da waren, "Hallo, ich war mal da."
Das kennen wir schon und das lesen wir auch - schließlich gilt das ja uns, unserer Homepage, und es ist nicht unser Auto, auf das da gekritzelt wird. Gespannter lesen wir den Zähler. 444 - juhu, Schnapszahl, schnell ein Gläschen Sekt... Es geht voran.

Der Zähler (Counter) ist das schleichende Gift der Homepageszene, die Einschaltquotendenke der Kommerziellen in der Intimsphäre. Der Zähler zeugt Inhalte um der Statistik willen, Neid und Konkurrenz unter den Exhibitionisten, einen Wettlauf der Gelangweilten gegen die unendlichen Weiten des "virtual life."
Der Zähler ist der Judenstern des Überflüssigen, das Kennzeichen des Opfers und die Unverantwortlichkeitserklärung in einem. Wie viele schauen denn hier so vorbei - die Frage hat schon ihre Berechtigung. Aber das merkt der kleine Homie nicht, der legt den Leim aus und tritt dann gleich drauf. Leben für den Counter. Das Netz ist voll von Dealern, die mit dieser Sucht ihr Geschäft machen - am offensichtlichsten die Counter-Verschenker und Verkäufer, mit Werbeeinblendung und Hitliste (Gartenzwerge 90 Hits über Tangoclub Suhl). Andere machen auch ihren Schnitt, Onlinedienste, Provider, die Telekom. Klick 445. Grins. Und wieder 12 Pfennig. Das WWW, so neulich ein Großverdiener, ist bevölkert von Idioten, die meinen, sie würden die Welt gestalten. Der Großverdiener hält sich da nicht auf, bei den "Zukurzgekommenen", aber er kennt ihre Sprache, nennt andere "Große" (ab 5.000 Hits am Tag), Möchtegernkleinverleger (100) und Omis Strickstube (2).
Wieder andere reden von Gefahren, politische, von der Revolution: dagegen hilft der Counter, hält sie fest, die Idioten, bannt ihren Blick in seinen schnappenden Zahlen. Keine Sorge.
Das WWW ist ein Zerrspiegel des Internet, zerrt weit über die Online-Zeit hinaus: in die verborgensten Winkel des Irrsinns, schenkt Identität so, dass er ihr Fehlen aufzeigt: Ich bin 20.000 Hits. Ja, eben.

Wo gibt es also kostenlose Counter? Nirgends, einen Counter auf der Homepage bezahlt man immer mit allem das man hat.