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Brav

Wir Menschen sind großartig. Wir können zum Beispiel einen Kirschkern mehr als zehn Meter weit spucken. Oder wir machen eine Theorie, wie die Sonne in Millionen Jahren scheint. Leider scheinen wir selbst nur kurz. Dann leben andere oder niemand mehr. Deshalb respektieren wir die Zeit. Wir sagen Jahr zu ihr und singen Lieder. Sie kennt uns und die Straßen, auf denen die Tage ziehen. Tage machen die Dinge groß. Den Kirschkern, die Stimme des Nachbarn oder, und das ist weniger schön, einen Zahnschmerz. Aber die Tage machen uns auch klein. Da ist die Welt klug angelegt. Wir wissen ja: will einer leben, müssen andere sterben. Die Zeit hält unsere Hand. Ihre Hand ist alt und fleckig, unsere ist jung. Die Zeit gibt es schon seit vielen Menschenleben. Sie erzählt Geschichten. Ihre Hand zeigt uns den Platz. Sie weiß, wohin wir gehören. Nur Kinder träumen sich in die Ferne, mit viel zu hohen Augen. Die Mütter haben das immer gesagt, dass wir an schmalen Stellen bleiben sollen. Nach oben wächst man, nicht ins Weite - dahin ziehen die Wochen in einer Reihe. Die Mütter rücken uns gerade. Aufrecht! Später wissen Höhere oben, was Recht ist. Unten, um uns herum, bellen die Hunde. Damit wir nicht weglaufen und uns wehtun. Es gibt so viele Menschen. Das ist unser Glück. Nur im Gewimmel sind wir wirklich Mensch. Im großen Gewimmel. Kleine Banden sind nämlich böse. Sie machen es aber sehr gut, haben die Kirschkerne in der Tasche. Und Süßigkeiten. Doch das Problem bleibt: wir sind zu allem fähig.