Reinhold Grether
an Forum Webkultur
Suche nach dem dritten sapiens
From: "Dr. Reinhold Grether" Date: Wed, 26 Mar 1997 08:33:15 +0000 To: webkultur@rzaix52.rrz.un_-_______.de Subject: Suche nach dem dritten sapiens Reply-To: webkultur@rzaix52.rrz.un_-_______.de Brei im Topf, genuegend erhitzt, schlaegt Blasen. Platzende Ausstuelpungen heisser Luft tun kund, dass dem Brei der Boden zu heiss wird. Blasen sind das aeusserste an politischer Artikulation, wozu ein Brei imstande ist. Soziologen streiten um die Weltgesellschaft. Darin leben wir bereits, sagen die einen, und beschreiben die Erde als Heissluftballon globaler Verdichtung. Keineswegs, so die anderen, dem globalisierungsueber- hitzten Menschheitsbrei fehlen Organe der politischen Artikulation. Soziologen gelten als allwissend, zumindest im Chor, und so erscheint das Internet als aussichtsreichste Plattform ("brent spar") der Artikulation der Welt- gesellschaft. Zwei Cyberessays, die zum besten gehoeren, was derzeit im Netz zu lesen ist, nehmen diese Perspektive auf und stellen sie ins Rampenlicht einer reflektierten Netzkritik. Es ist der von Claudia Klinger bereits ins Spiel gebrachte Aufsatz des Marburger Politologen Rainer Rilling "Auf dem Weg zur Cyberdemokratie? Strukturwandel der Oeffentlichkeit durch Neue Medien" (erreichbar ueber die Leitseite des nicht genug zu lobenden Katalogs "Wissenschaft plus Politik" (staff-www.uni-marburg.de/~rillingr/) und den Pfad (/bdweb/texte/cyberdemokratie.html)) sowie der Aufsatz "Auf dem Weg zur "Cyberdemocracy"? Auswirkungen der Computernetze auf die oeffentliche politische Kommunikation" des mit brillanten Veroeffentlichungen, beispielsweise zur Verhandlungsmacht kleiner Staaten oder zu interorganisationellen Normkulturen, hervor- getretenen Zuercher Soziologen Hans Geser (Geserweb (www.unizh.ch/~geserweb/), Pfad (/komoef/ftext.html)). Zwei Kurzstrecken bitterer Bytes organisieren Rillings Argumentation: "das Netz ist unpolitisch" "das Netz kann kein essentieller Entscheidungsort sein". Auf diesen beiden Saetzen laesst sich wahrlich eine Karfreitagsmeditation aufbauen. Quantitativ unpolitisch ist das Netz, sind doch nur gut ein halbes (BRD) oder knapp zwei Prozent (USA) politische Sites. Strukturell unpolitisch ist es, weil das Ueberge- wicht finanz-, macht- und funorientierter Kraefte das interaktive Potential aushoehlt und lahmlegt ("Demokrati- sierung der Konsumtion bei Rehierarchisierung der Produktion"). Rilling praegt die eindrucksvolle Formel der "Frohsinnsprovider mit sozialvertraeglichen Bildern und Audiorauschen". Medial unpolitisch ist das Netz, weil es seine eigene Autopoiese zur Hauptattraktion seiner Kundschaft verklaert. Und rekursiv unpolitisch ist es, weil Rueckwirkungen auf die praktische Politik ausbleiben. Besonders erhellend wirkt Rillings Analyse im Abschnitt "Hypertext und Politik". (special service fuer am in s) "Der Hypertextmechanismus ist nichts anderes als ein aeusserst zwingender Imperativ, Peripherie, Marginalitaet oder, politisch formuliert, potentiellen Dissens zugunsten von Zentralitaet oder, politisch formuliert, Mainstream zu verlassen." Zwei Zentralisierungseffekte sind Rilling zufolge jedem Link eingeschrieben. Indem ich auf anderes verweise, verweise ich auf zentraleres als mich, und indem ich auf zentraleres verweise, verweise ich auf meine Verweis- kompetenz und behaupte damit eigene Zentralitaet. Im "Kampf um Sichtbarkeit" schaukeln Fremd- und Eigen- zentralitaet einander auf. Das ist die wahre Netzpolitik. Ein essentieller Entscheidungsort kann das Netz deshalb nicht sein, weil es ueber keine Sanktionsmacht verfuegt, die getroffene Entscheidungen durchsetzen koennte. Zwar laes sich im Innern ein hoher Binnenkonsens einstellt. Das Netz ist geradezu darauf angelegt, die Homogenitaet der einzelnen Knoten im Strickmuster ihrer Verknuepfungen in Heterogenitaet umschlagen zu lassen. "In der masslosen Kakaphonie der Stimmen duerfte unueberbietbar deutlich werden, dass keinem Segment der Bevoelkerung die Berechtigung zukommt, sich - nach dem Modell des klassischen Buergertums - als das massgebliche Publikum darzustellen, das eine fuer alle gleichermassen verbindliche "oeffentliche Meinung" konstituiert." So artikuliert sich im "vielleicht umfangreichsten "non-profit-Unternehmen" in der Geschichte der Menschheit" tatsaechlich so etwas wie Weltgesellschaft - eine Weltgesellschaft der Diaspora, am gegenueber liegenden Ende eines politischen Projekts. Ich selbst verstehe das Internet als Suchmaschine nach dem "dritten sapiens", von dem der Argonaut des Zur-Welt-Kommens, Peter Sloterdijk, in "Eurotaoismus" in Parenthese spricht, "(aber vielleicht kommt noch ein sapiens hinzu)" (S. 225), und deshalb schlage ich, wie Rilling die Klimax der Namens- gebung goutierend, das schlichte aber nachhaltige S A P I E N S (mit SAP als Sponsor?) als Name der geplanten Kultur-Suchmaschine vor. Zum Abschluss dieser Osterbotschaft danke ich Stefan Krempl fuer seine ausfuehrliche Berichterstattung ueber den Muenchner Kongress "Internet und Politik", die unter (viadrina.euv-frankfurt-o.de/~sk/IN_und_Politik/ Internet_und_Politik.html) aufgerufen werden kann.