Friedrich Hagen
Rufende, überall Rufende
Flucht der Dinge ohne Flüchtigkeit
ohne Ursprung ohne Ziel
hinter den Scheiben beschlagen mit Erwartung
läuft die Nacht vorbei und der Wind bewegt ihren Mantel nicht
ihr blaues Haar weht durch deinen Mund gleich dem bitteren Schlaf
die Nacht entschuldigt sich mit Lichtern
die Nacht verteidigt sich mit Schatten
der Zug wiegt dich mit bösen Fäusten
als würde er dich bereuen
und Rufende überall Rufende
feindselige Bahnhöfe ohne Ankunft
schlafwandelnde Kais ohne Abruf
ein Fluss mit ertrunkenen Augen
ein Kai für den Mord ein Kai für die Liebe
wo endet der eine wo fängt die andere an
und Rufende überall Rufende
Kanäle aus schwarzem Blut
Kanäle aus Schweiß und Tränen
verschlossene Schleusen der Träume
ein rotes Licht und die Nacht hält an
ein grünes Licht und die Welt rollt weiter
und Rufende überall Rufende
unsichtbar zwischen den Goldaugen
des unwiderruflichen Abschieds
uralte Gebärden Fossile
in flüchtenden Blöcken aus Licht
vergessene Stirnen verlassene Münder
Fragmente unschuldiger Schultern
verschenkte Hände verstoßene Hände
und Rufende überall Rufende
Zwei Herzschläge lang flüchtet der Tag vorbei
flüchtet vorbei und rührt dich nicht an
der Tag des Nordlichts der Tag der Levante
der Tag Alaskas der Tag der Azurküste
der Tag der Perlen und des Hungers
der Tag der Oliven der Tag der Türme
der Tag mit gebrochenen Händen
der Tag auf seidenen Schultern
ohne Wiege und ohne Rückkehr
Funke zwischen Nichts und Nichts
Funke der Hoffnung
und Rufende überall Rufende
Gelächter Waage ohne Schalen
Trauer Schalen ohne Waage
farbloser Schlaf auf schlafenden Lidern
Mineralogie der Wünsche
Chemie neuer Sinne
Liebkosung des Unbekannten
und Rufende überall Rufende
und dann eine Straße einfache Antwort
dem einfachen Mond
Häuser geschart um die Quelle der Güte
Schwellen offen wie Augen
vielleicht erwacht dort ein erster Mensch
zwischen der Nacht am Anfang
und der Nacht am Ende
ein Rufender unter Rufenden
vorbei vorbei
sie wissen nicht
dass ihr Schatten zwei Herzschläge lang
meine tiefste Heimat war
in der Flucht der nahen Dinge
Aber die Ferne
das Fernste
dauert
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