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Walter Rheiner

Wehe! Auf!

Wehe über uns! - Wir haben den Traum verloren.
Nackt frieren die Bäume. Regen wusch ihre Schleier ab.
Nicht mehr singt das Haus. Keller wuchs auf bis zum Dach.
Mond starrt unbeweglich. Bleich. Er weint nicht mehr.

Wehe uns! Leben ist uns entschwunden.
Hohl lärmt der Tag. Wald splittert, Gerümpel grau.
Haupt im Azur kreiset nicht mehr, summende Geige.
Höhle ward die Brust. Düster. Es tropft. Es knirscht.

Wehe! Die Sonne zerging. Sirius verlosch. Die Wolke
Floh uns. Nun stehen wir in gelben Jahres Ruine.
Keine Wimper streut Licht. Auge verklang, und die Hand,
Die gestirnte Hand ward trockenes Holz!

Wehe! Unser Herz schlugen wir tot. Die Wand,
Des Himmels schwarzes Gemäuer bedeckt uns. Ach,
Kein Seufzer tröstet uns, kein Lied. Nur Schnee
Verschüttete unser Haar. Ohr Hirn-Muschel
fängt nicht mehr Gottes Gesang.

Verloren sind wir. Wehe! Gespenster Leer,
Vertan in Raum und Zeit. Uhr. Knarrender Stuhl.
Wo blieb des Sterbens Süße? - Wo blieb
der bunte Tod? Wer stahl uns die letzte Lust?

Diebe sind wir! Einander haben wir uns geraubt
Das Leben, den Tod, den größeren Traum, den Schlaf.
Und das teuerste Gut: Musik, unsere Heimat, unserer Mutter Schoß.
Und kosmische Milchbrust: tönendes Firmament!

Wehe über uns, da Träne versiegte! Vors Antlitz
Geschlagene Hand hält mürbe Maske nur noch,
Die schält sich vom Haupt, Tapete, widerlich fremd.
Und die Adern sterben; melodisches Netz zerfällt.

Eines nur blieb uns: der Schmerz! die Flamme!
Fliegende Glut, bohrender Brand. Die Fackel!
Die Flamme blieb uns. Das Tiefste blieb uns.
Der Fluch ist unser, der sausende Schmerz!

So prassele auf, du: Flammender Mensch!
Aus dem Feuer des Schmerzes schaffe die Neue Welt!
Aus der Flamme
Baue dich auf! Bilde den züngelnden Leib! O! Erstrahle-:
Zehrendes Herz, wogendes Hirn.

Schlag empor, Schmerzensmensch, Leuchtkegel, Flammenturm,
lodernder Dom!