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Paul Zech

Die neue Bergpredigt

I

Ihr blassen Krüppel, sanft von Kindern vorgeschoben,
und ihr Geschwächten aus dem Hospital,
ihr Irren von den Straßen aufgehoben

und ihr Entlaufnen aus dem Arbeitssaal;
Töchter der Magdalena, Kains robuste Söhne,
Verwanderte von China her und vom Ural:

auf dass mein Spruch durch euer Stöhnen töne,
auf dass mein Spruch durch eurer Stirnen Grind
sich zwänge, wild wie Wettern heißer Föhne,

und Adern, die vom Gram verschüttet sind,
melodisch weite, ward mir diese Stunde
noch einmal aufgespart, eh Brüder tollwutblind

sich hetzen und zerfleischen wie die großen Hunde
der Strahlgebläse in Kavernen aufgestellt.
Und spricht auch zorniger Gott nicht mehr aus meinem Munde:

Der Vater, der mich sandte, heißt noch immer wie die Welt.

II

Ihr Männer, sprecht, zerdonnern schon in Rauch
die goldenen Paläste, die man aus den Knochen eurer Ahnen
aufsteilte über blauem Strom. Und platzte schon der Bauch

des Baals, der die heranbeschwornen Karawanen
Unmündiger verschlang wie süßes Gras?
Und flattern von den Kirchturmspitzen schon die Fahnen

der Freiheit feurig räudigen Siedlern zu im Haftgelass?
Und sprang aus euren Muskeln schon der Schwielen
verschorftes Ducken wild zurück in Hass?

Wer zerrt ungläubiges Volk ins Joch der erznen Sielen?
Und welcher Schlachtruf rauscht, der euch zu Taten treibt,
Notsegel bläht, den Äther zu durchkielen?

Das Menetekel, das ihr schwarz mit Wolkenfingern schreibt,
entsprang es den fünf unverbundenen Wunden
des Kreuztods, der solange ungerochen bleibt,

bis Menschen dieser Erde nicht mehr munden?

III

Und ihr belaubten Mütter, fruchtbar ohne Sinn
und ewig ausgestreckt ein Neues zu empfangen,
ward eurem Dienen schon ein seliger Gewinn?

Ein Königreich? Provinzen, korngelb aufgegangen?
Und Töchter: gläubig untertan wie Ruth?
Und habt ihr je in bangen nächtelangen

Gebeten eurer Männer hingeflossnes Blut
beweint, und, angestarrt von der Verzweiflung Larven,
euch stündlich aufgereizt in rächerische Wut?

Gott gab euch Odem psalmengrüner Harfen
den Frost der Seelen silbern aufzuglühn,
die sich zerknirscht Vertiertem in die Blößen warfen.

Aus euren zauberischen Fingern blühn
noch immer Rosen, letzte Armut zu versöhnen.
Um Brücken, über Ströme bogenkühn

zu schlagen, müssen Harfen über Rosenwunder tönen.

IV

Noch immer schwebt zerräderte Musik um eure Lippen
ihr Kinder, die ich nie so hilflos sah,
und so gejagt, gleich in ein Weinen umzukippen.

Was weit auf Lenzgefilden knospenhaft geschah:
Marienkäferlied und Schmetterlinge-Fangen,
ist euch nur in den magern Bilderbüchern nah.

Nie reizten Glocken, die durch Streikrevolten feurig klangen,
euch in das selige Getöse einer Schneeballschlacht.
Zerbrochenes Gefühl ist oft durch euren Traum gegangen.

Und wenn ihr auf dem Brachfeld wo ein Feuerchen entfacht,
bricht gleich schon Angst von euren Munden wie zerbissne Kreide,
und immer habt ihr Ruhr und Husten heimgebracht.

Ich aber will, dass ihr wie tausendfältiges Getreide
in Sonne reift; denn meine Mühlen gehn schon leer
und an des Kreuzwegs ungewisser Daseinsscheide

lauern gebräunte Quäler wie ein Hunnenheer.

V

Erlösung breche schier aus meinem Munde
und fließe weit hinaus wie der Atlant,
auf dass ihr hingetaucht auf seinem Grunde

zur letzten Freiheit euch ermannt.
Mein Same, einmal ausgestreut in Schlachten,
wie sammelt er sich hier als unfruchtbarer Sand?!

Reibt aus den Augen euch die wüst verwachten
Nächte der Qual und wallt in meinem Zug,
den neuer Quäler Väter schon verlachten

und Priester schamlos nutzten zum Betrug.
Ihr Hergeschwemmten mit dem toten Blick der Blinden:
in mir ist immer Mittagshöh und Sternenflug.

Sodom und Hellas, Rom zu überwinden,
schenk ich mich stündlich allem aus, was trinken mag.
Und groß aus östlich hergewehten Winden

erbau ich täglich euch den allerjüngsten Tag.

VI

O jüngster Tag, aus himmlischem Gedröhn gewittert,
O Strahl, der feurig durch das Morsche fährt,
O Schlag, der jäh des Baales Babelturm zersplittert

und was verzweifelt gärt, zur Wahrheit klärt:
Schon höre ich aus Tiefen krummer Hufe Stampfen,
und wittre Brand, der gelb aus schwarzen Wolken schwärt,

die Zwielichtkämpfe in den Städten zu verdampfen.
Und wenn Elias mit dem Flugschiff wiederkehrt,
dann brechen Augen, die sich schwer in Furcht verkrampfen,

weißgläubig auf und stürzen in den Feuerherd,
der aufbrennt, Boden einer neuen Welt zu düngen.
Und niemand wird dort siedeln, den Vergangenes beschwert;

erwacht zu schöpferischen Glückaufschwüngen,
schießt Gottes Blut, das einmal schon vergeblich rann,
durch aller Menschen Herzen in Kometensprüngen

und steht - dreifache Sonne - über Kanaan.