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Die Puppe
Liebe Puppe,
wohlfrisierte kleine Puppe,
wie hast du es leicht!
Du wendest das Köpfchen
nach rechts und nach links,
du lächelst, du schmollst,
du weinst, du lächelst,
und wenn man dich aufzieht
am Knopf des Gefühlchens,
des einzigen kleinen
dir eignen Gefühlchens:
Der Liebe zu dir,
zu dir, kleine Puppe,
so tänzelst du zierlich
und neigst dich dankend
dem Schwarm deiner Freunde
und äugst unter seidnen
gebogenen Wimpern,
ob du ihn nicht siehst,
den schmerzlich ersehnten,
ergebenen Diener,
der an dem Knöpfchen
des einen Gefühlchens
dich liebevoll aufzieht
bis an dein Ende,
dein Puppenende...
Wir aber, entartet
und vielfach geschmäht,
wir andern, wir Ernsten,
wir Dunklen, wir Schweren,
wir Trägerinnen
geheimen Wissens,
wir Deuterinnen
uralter Runen,
wir keuchen und brechen
fast unter der Last
des gnädigen Schicksals,
das sie uns gab,
unsre sehende Seele,
von der du nichts weißt. -
O liebe Puppe,
wohlfrisierte kleine Puppe,
wie hast du es leicht!