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Ludwig Fahrenkrog
(1867-1952)
Robin Niemeyer
Über Ludwig Fahrenkrog
I.
Ludwig Fahrenkrog, 1867 in Rendsburg geboren, gehört zu einer der ersten Generationen derjenigen Intellektuellen, in deren Denken sich die ideengeschichtlichen Grundlagen des Nationalsozialismus, in dessen Kern die Idee einer völkisch konnotierten Solidargemeinschaft verbunden steht mit einem heilsgeschichtlich überhöhten Sendungsbewusstsein, vorbereiten und ausformen. War die deutsche Spielart des europäischen Nationalismus, aus der Romantik geboren, stets auf die Zukunft gerichtet und mit einer Vielzahl von Erlösungserwartungen aufgeladen, denn noch existierte die Nation ja nur als Idee, blieb als verbindendes Element allein die Sprache, die die Reste des lange verblichenen Sacrum Imperium zusammenband, musste sich nach der bismarckschen Reichseinigung der 1870er Jahre Ernüchterung einstellen - denn was hatte Bismarck anderes getan, als divergierende Räume unter dem Dach eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes zusammenzubinden?
Männern wie Fahrenkrog, und die spätere völkische Bewegung, zu deren vielen Trägern Fahrenkrog zählt, war im wesentlichen eine von Männern gemachte Bewegung, Männern wie Fahrenkrog also konnte dies nur zu wenig sein: Trotz der kaiserlichen, insbesondere der wilhelminischen Prunkentfaltung, trotz der Kostümierung des öffentlichen Lebens mit allerlei Aufmärschen und Paraden, mochte sich das versprochene, das erhoffte, erwartete Gefühl von Gemeinschaft, Ganzheit, Zusammengehörigkeit nicht recht einstellen.
Dagegen dies: die Industriegesellschaft brach sich Bahn, und dies mit aller Macht. Nicht nur wuchsen die Städte und leerte sich das Land, seit je Inbegriff des Heimatdenkens, nein, die Städte verdreckten, die Menschen wurden krank in ihnen, man pferchte sie zusammen in stickigen, lichtlosen Hinterhöfen, sperrte sie in enge Wohnungen, die Luft nahm den Atem, und das Land, die Landschaft wurde zerstört durch neue Fabriken, das Wasser verunreinigt, Wälder gefällt. Zudem: Der Kapitalismus schien nicht reich, sondern arm zu machen. Der Begriff vom Börsenunwesen entstand just im ersten Börsenkrach der modernen Wirtschaftsgeschichte, der sogenannten Gründerkrise, die vor allem die zu spät gekommenen Kleinanleger in den Ruin trieb, die sich, angesichts des vorangegangenen Gründungsbooms und der explosionsartigen Expansion, erheblich verspekuliert hatten. Nicht ohne Spuren in der Geschichte zu hinterlassen: Der Begriff des Börsenunwesens blieb und fand Eingang in die ideologische Matrix völkischen Denkens, wurde zu einem wesentlichen Bestandteil des europäischen Rassismus, denn wie kaum eine andere Institution verkörperte die Börse, dieses schwer zu durchschauende Ding, die goldene Internationale, die Internationale des Geldes, und Geld, dessen Erwerb anrüchig schien oder gar mit komplizierten Transaktionen verbunden war, blieb bis in die Zeiten der IG Farben eben nicht dem Arier zugeordnet.
Denn auch dies passierte: Der Arier kam in die Welt. Er tat dies auf allerlei Umwegen, es trugen die Linguistik und der ins soziale portierte Darwinismus ebenso etwas zu seiner Entstehung bei wie der Essai sur l'inégalité des races humaines des Grafen Gobineau und seines Übersetzers, des Altphilologen und Mitglieds im Bayreuther Kreis der Cosima Wagner, Ludwig Schemann.
Es begann, unter Zuhilfenahme der Germanistik, der Vor- und Frühgeschichte und vieler anderer Wissenschaften mehr, die Deutung der Welt im Zeichen des Hakenkreuzes: Wie der Hammer Thors, entliehen der großen Sammlung nordischer Mythologie, der mittelalterlichen Edda, stieg es zum Symbol der völkischen Bewegung auf, bevor es schließlich Signum des Nationalsozialismus wurde, derjenigen Schule des Denkens, die das Völkische in ihren Mittelpunkt stellte.
Nichts war das Völkische mehr als eine Fläche zur Konstruktion einer verloren geglaubten Identität, deren noch verbliebende Reste bedroht von allen Seiten schienen: Gott war aus der Welt vertrieben, das Phänomen Entkirchlichung zerstörte Hand in Hand mit der Verwissenschaftlichung von Raum und Zeit, die eben hier, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, ihre Ansprüche geltend machte, die gewohnten Bindungen, die gewohnten Orientierungsmuster. Wohin sich orientieren, wenn Gewissheiten Tag für Tag in sich zusammenbrachen, die Ordnung im Kopf sich verflüchtigte?
Nicht umsonst steht jener Verwissenschaftlichung, jenem berühmten Wort von der Entzauberung der Welt, die Suche nach Sinnstiftung gegenüber, nach Deutung - und nicht umsonst folgt bald darauf die Zeit der großen Erzählungen, derjenigen Systeme, die ihre eigenen Vorstellungen von Letztwerten setzen.
Tatsächlich beginnt um die Jahrhundertwende, im Zeichen dieser verstörenden Moderne, deren vielgestaltige Auswirkungen in allen Lebensbereichen zu ebenso vielgestaltigen Gegenentwürfen führt, ein breit angelegter Religionsdiskurs, der die bisherige Orientierung auf das abendländische Christentum um außereuropäische Religionen erweitert - um den Buddhismus etwa oder den Islam, aber auch um eine Vielzahl von Alternativen zu den großen Religionen bis hin zur Idee einer alle Kulturen umspannenden Weltreligion. Aber auch um einen anderen Entwurf: den der arteigenen Religion, der Religion der Rasse.
Einer ihrer Vertreter ist innerhalb der völkischen Bewegung Ludwig Fahrenkrog. Im ersten Jahr des neuen Jahrhunderts aus der Kirche ausgetreten, ruft Fahrenkrog 1908 zum ersten Mal zur Gründung einer Glaubensgemeinschaft auf, in deren Mittelpunkt diejenigen religiösen Riten stehen sollten, die den als Vorfahren gedachten Germanen zugeschrieben wurden. Diesem Aufruf folgt kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, dessen Verwüstungen und Vernichtungen nicht nur von Fahrenkrog bereits im Vorhinein sakralisiert und gefeiert wurden, die Gründung der Germanischen Glaubensgemeinschaft (GGG) durch Fahrenkrog. Der Glaube an die vermeintlichen Urahnen der Deutschen wurde dabei weder von allen Völkischen geteilt noch gar von allen Nationalsozialisten zurückgewiesen, findet sich unter diesen mit Heinrich Himmler doch ein Germanengläubiger reinsten Wassers, mag diese Haltung einem Adolf Hitler, ansonsten ein wahrer spiritus rector rassistischer Religiosität, auch noch so sehr missfallen: "Nicht genug, dass die Römer schon große Bauten errichtet hatten, als unsere Vorfahren noch in Lehmhütten hausten, fängt Himmler nun an, diese Lehmdörfer auszugraben, und gerät in Begeisterung über jeden Tonscherben, jede Steinaxt. Wir beweisen damit nur, dass wir noch mit Steinbeilen warfen [...] als sich Griechenland und Rom bereits auf höchster Kulturstufe befanden. Wie müssen die heutigen Römer verächtlich über diese Enthüllungen lachen."
Davon abgesehen, dass hier in erster Linie die Sorge um einen Imageverlust des Tausendjährigen Reichs, dessen Namensgebung weniger auf einen nationalsozialistischen Größenwahn als vielmehr auf die Verbindung von Rasse und christlichem Mythos abhebt, im Vordergrund steht, bleibt die Sakralisierung der Rasse integraler Bestandteil völkischen Denkens im Dritten Reich, wenngleich Hitler hier einen Weg bevorzugt, der ihm von anderen Völkischen als von Fahrenkrog vorgezeichnet worden ist. Hatte Fahrenkrog das Christentum auch deswegen stets zurückgewiesen, weil es über die Zehn Gebote, die Moses von Gott empfangen hat, eine in erster Linie jüdische Religion sei, bevorzugte ein größerer Teil der völkischen Bewegung eine spezifisch 'deutsche' Spielart des Christentums, in dessen Mittelpunkt nicht selten das Bemühen um eine 'Arisierung' Jesu Christi selbst stand. Im Dritten Reich finden sich beide Strömungen in unterschiedlichen Gewichtungen wieder: so etwa in der Verbindung von christlicher Liturgie und archaischem Ritual in Gestalt der Nürnberger Reichsparteitage, deren Ästhetizismus nicht nur eine Leni Riefenstahl begeisterte.
Die Verquickung von Rasse und Religion war dabei deutlich mehr als eine kühl kalkulierte Herrschaftstechnik: Tatsächlich ist der von den Nationalsozialisten entfesselte Genozid an Millionen von Menschen nicht ohne den Glauben an die Überlegenheit und prinzipielle Höherwertigkeit des Eigenen, hier auf das Konstrukt der Rasse projiziert, denkbar. Das Wort von den politischen Religionen gilt nahezu paradigmatisch für den Nationalsozialismus und die Bewegung, die ihn hervorgebracht hat, die Bewegung der Völkischen. Und: auch ein nicht eben geringer Teil der Attraktivität der nationalsozialistischen Bewegung für die sich selbst entmündigenden Wähler und Wählerinnen der Zeit erklärt sich aus dieser Richtung, war doch wenig so ausschlaggebend für die Hinwendung zu Hitler wie die Sehnsucht nach einer Solidargemeinschaft, hier bekanntlich definiert als die Gemeinschaft des Volkes, der Volksgemeinschaft. Das ist die Sehnsucht nach Sicherheit, nach Ordnung, nach Zusammengehörigkeit, nach Wärme - an der freilich nur diejenigen teilhaben können, die den Kriterien der Gemeinschaft entsprechen. Und es ist die angesprochene Sehnsucht nach Sinnstiftung, nach Deutung: Wo ist mein Platz? Und hinter der Idee völkischer Gemeinschaft und Solidarität - steht die Idee der christlichen communitas, steht Religion, die von Männern wie Fahrenkrog umgewertet wurde zu einer völkischen Religion von Krieg, Vernichtung und Hass, nicht selten unter Beibehaltung einer somit in ihr Gegenteil verkehrten christlichen Rhetorik.
Dass die Germanische Glaubensgemeinschaft Fahrenkrogs wenige Jahre nach der Machtergreifung verboten wurde, ist hier kaum als Zeichen einer Widerstandshaltung deutbar: Ein Staat, der sich selbst als total begreift, kann nur das zulassen, was er selbst hervorgebracht hat. Und der Nationalsozialismus konnte im Sinne des Wortes eines nicht dulden: Götter neben sich.
Auch wenn die Glaubensgemeinschaft den Untergang des Dritten Reichs überlebt hat, und somit wie viele andere Gruppierungen aus der völkischen Bewegung auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, die sich selbst fortwährend zu aktualisieren bereit ist, ist sie wieder in den Untergrund, aus dem sie kommt, herabgesunken. Allerdings ohne den Willen auf Rückkehr vermissen zu lassen - in den Worten ihres derzeitigen Führers, Géza von Neményi: "Wir sind leider keine Wölfe mehr, wir sind Hunde. Wir sollten aber immer das ursprüngliche Wolf-Bewußtsein in uns bewahren und versuchen, es so oft wie möglich zu leben."
II.
Die Abseitigkeit vieler von der völkischen Bewegung hervorgebrachter Ideen und Personen sollte nicht von der Tatsache ablenken, dass erhebliche Teile von ihr in den kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Mainstream der Rechten (und nicht nur ihr) hineinragten. Auch hier mag Fahrenkrog stellvertretend für die gesamte Bewegung stehen: Nach einer Ausbildung zum Dekorationsmaler lernt Fahrenkrog an der Akademie der bildenden Künste in Berlin, bevor er schließlich mit eigenen Arbeiten an die Öffentlichkeit tritt, darunter das Kolossalgemälde Kreuzigung Christi, für das er bereits 1893, mit gerade einmal Mitte zwanzig, den Großen Staatspreis verliehen bekommt. Fahrenkrog, der ein Jahr nach Gründung der Glaubensgemeinschaft 1913 zum Professor ernannt wird und es als External Professor of Art der University of Dakota gar bis in die Vereinigten Staaten schafft, ist also das, was man als vollgültiges Mitglied der Gesellschaft bezeichnen könnte - ein Akademiker wie so viele Träger der völkischen Bewegung. Und auch sein Beruf als Künstler, als Maler, Dichter, Dramaturg, Bildhauer und Illustrator ist hier nichts Exotisches, keine Ausnahme, versteht sich die völkische Bewegung doch auch als eine kulturelle Bewegung mit vielfältigen Verbindungen zur Heimatkunst, die in ihrem Rückbezug auf die vermeintliche Tugendhaftigkeit und Geradlinigkeit, auf die Aufrichtigkeit und Innerlichkeit, auf die Charakterfestigkeit und Treue des Bauern, seiner Frau, seines Knechts und seiner Magd die berüchtigte Blut-und-Boden-Ideologie des Dritten Reichs, dieses ja gleichzeitig hochindustrialisierten Staats, weit vor ihrer Zeit ausformuliert. Und nicht umsonst benennt Göring jene Partisanenbewegung, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs den Sieg herbeiführen soll, nach einem Buch des wohl bekanntesten Vertreters der literarischen Heimatkunstbewegung, der sich seinerseits früh im völkischen Denken übt - nach Hermann Löns' Der Wehrwolf, das, 1910 herausgekommen, bis 1939 eine Gesamtauflage von 565.000 Exemplaren erreicht, die bis Ende der neunziger Jahre auf über 850.000 Exemplare ansteigt.
Damit wird Kunst nicht erst im Dritten Reich zur Artikulationsfläche für ein pseudo-emanzipatorisches Denken, hinter dem nichts anderes als ein in den Stand einer Wissenschaft erhobenen Rassismus und blanke Gewaltverherrlichung steht. Dabei ist es dieses pseudo-emanzipatorische Gebaren, gekleidet in die Sprache des Widerstands, die eine Entschlüsselung oftmals erst auf den zweiten und dritten Blick ermöglicht. Dies gilt insbesondere für das Gedicht, dass den Anlass für die vorangegangenen Bemerkungen gibt: für Ludwig Fahrenkrogs Jedem das Seine, dessen Titel, trotz der langen Geschichte des ihm zugrunde liegenden Schlagworts, es schließlich bis an die Tore des Konzentrationslagers Buchenwald geschafft hat, eine Fußnote, die es in ihrer Bitterkeit verhindern sollte, Männer wie Fahrenkrog allzu schnell als harmlos abzutun.
Literatur (Auswahl):
Handbuch zur "Völkischen Bewegung", hrsg. v. Uwe Puschner, Walter Schmitz und Justus H. Ulbricht, München 1999.
Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe "arteigener" Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende,
hrsg. v. Stefanie von Schnurbein und Justus H. Ulbricht, Würzburg 2001.
Klaus von See: Barbar, Germane, Arier. Die Suche nach der Identität der Deutschen, Heidelberg 1994.
Kostenlos über die Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de):
Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus, hrsg. v. Wolfgang Benz und Werner Bergmann, Bonn 1997.
Im Internet ist darüber hinaus mit der Nordischen Zeitung eine Dependance völkischer Religiosität eröffnet, die sich ganz als in der Tradition der Germanischen Glaubensgemeinschaft stehend begreift: www.asatru.de
Robin Niemeyer