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Heinrich von Kleist

Germania an ihre Kinder

1

Die des Maines Regionen,
Die der Elbe heitre Au'n,
Die der Donau Strand bewohnen,
Die das Odertal bebaun,
Aus des Rheines Laubensitzen,
Von dem duft'gen Mittelmeer,
Von der Riesenberge Spitzen,
Von der Ost- und Nordsee her!

    Chor

    Horchet! - Durch die Nacht, ihr Brüder,
    Welch ein Donnerruf hernieder?
    Stehst du auf, Germania?
    Ist der Tag der Rache da?

2

Deutsche, mut'ger Kinder Reigen,
Die, mit Schmerz und Lust geküßt,
In den Schoß mir kletternd steigen,
Die mein Mutterarm umschließt,
Meines Busens Schutz und Schirmer,
Unbesiegtes Marsenblut,
Enkel der Kohortenstürmer,
Römerüberwinderbrut!

    Chor

    Zu den Waffen, zu den Waffen!
    Was die Hände blindlings raffen!
    Mit dem Spieße, mit dem Stab
    Strömt ins Tal der Schlacht hinab!

3

Wie der Schnee aus Felsenrissen,
Wie auf ew'ger Alpen Höh'n
Unter Frühlings heißen Küssen
Siedend auf die Gletscher gehn:
Katarakten stürzen nieder,
Wald und Fels folgt ihrer Bahn,
Das Gebirg hallt donnernd wider,
Fluren sind ein Ozean -

    Chor

    So verlaßt, voran der Kaiser,
    Eure Hütten, eure Häuser,
    Schäumt, ein uferloses Meer,
    Ueber diese Franken her!

4

Der Gewerbsmann, der den Hügeln
Mit der Fracht entgegenzeucht,
Der Gelehrte, der auf Flügeln
Der Gestirne Saum erreicht,
Schweißbedeckt das Volk der Schnitter,
Das die Fluren niedermäht,
Und vom Fels herab der Ritter,
Der, sein Cherub, auf ihm steht -

    Chor

    Wer in unzählbaren Wunden
    Jener Fremden Hohn empfunden,
    Brüder, wer ein deutscher Mann,
    Schließe diesem Kampf sich an!

5

Alle Triften, alle Stätten
Färbt mit ihren Knochen weiß;
Welchen Rab' und Fuchs verschmähten,
Gebet ihn den Fischen preis;
Dämmt den Rhein mit ihren Leichen,
Laßt, gestäuft von ihrem Bein,
Schäumend um die Pfalz ihn weichen
Und ihn dann die Grenze sein!

    Chor

    Eine Lustjagd, wie wenn Schützen
    Auf die Spur dem Wolfe sitzen!
    Schlagt ihn tot! das Weltgericht
    Fragt euch nach den Gründen nicht!

6

Nicht die Flur ist's, die zertreten
Unter ihren Rossen sinkt;
Nicht der Mond, der in den Städten
Aus den öden Fenstern blinkt;^
Nicht das Weib, das mit Gewimmer
Ihrem Todeskuß erliegt
Und zum Lohn beim Morgenschimmer
Auf den Schutt der Vorstadt fliegt!

    Chor

    Das Geschehne sei vergessen!
    Reue mög' euch ewig pressen!
    Höh'rem als der Erde Gut
    Schwillt an diesem Tag das Blut!

7

Rettung von dem Joch der Knechte,
Das, aus Eisenerz geprägt,
Eines Höllensohnes Rechte
Ueber unsern Nacken legt!
Schutz den Tempeln vor Verheerung!
Unsrer Fürsten heil'gem Blut
Unterwerfung und Verehrung!
Gift und Dolch der Afterbrut!

    Chor

    Frei auf deutschem Grunde walten
    Laßt uns nach dem Brauch der Alten,
    Seines Segens selbst uns freun
    Oder unser Grab ihn sein!