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Goethe und der Affe
Ich fand auf einem Postament
Einen Menschen, der sich Goethe nennt.
Die Büste des Dichters, und nebenan,
Auf demselben Gestell, hockt ein Pavian
Aus Bronze, Thon, ich weiß nicht mehr,
Ein Götzenbild, von den Tropen her,
Wo ihn ein Seemann erstanden mag haben,
Der ihn vielleicht mal seinen Knaben
Mitgebracht zum Scherz, als Spiel,
Bis ein Zufall dem Äffchen ein Ziel
Neben dem großen Poeten gegeben,
Wie sich so Zufall und Schicksal verweben.
Der Affe, mit einer der Vorderpfoten,
Hat auf den Lippen sich Stille geboten,
Sich? oder gilt, das Maul zu halten
Dem klar und herrisch blickenden Alten?
Das Symbol der Vorsicht! Ich glaube sogar,
Der weimarische gewaltige Zar
Hat's gut verstanden und schmerzlich empfunden,
Daß er sich nicht hat unumwunden
Geben dürfen, er kannte die Welt!
Denn was er auch schrieb: durch all seinen Schimmer
"Laß nie dich erraten", hör' ich ihn immer,
"Kennt man dich ganz, so verlierst du", paß auf,
"Alle Bedeutung" im irdischen Lauf.
So sollen Affe und Goethe uns zeigen:
Des Lebens beste Vorsicht heißt Schweigen.
Und doch, und doch, hätte Goethe geschwiegen,
Hätt' er sich nie die Lippen verbrannt,
Er wär' nicht die goldenen Stufen gestiegen,
Mit leuchtenden Spuren herabgestiegen
In unser nüchternes Schulmeisterland.