hor.de   |   Gedichtsammlung   |   Maria Luise Weissmann
 

Nachdichtungen

Blaise Cendrars

Sequenzen

  I.

"Asperges me, Domine, hyssopo . . . "        
Ps. L.        

Die Kostbare war da, gebreitet und enthüllt,
Ihre Vergangenheit löste sie wie ihr Haar.
Ein nie erfahrner Duft bestürzte ihre Augen;
Und dennoch wagten ihre Hände nicht zu mir.
Ihr Leib rief hingebettet preisgegeben mir,
Gedämpft ein dunkelfließender Akkord in Moll,
Von Liebe rot bespült im Purpur ihrer Lippen,
Und dennoch wagten meine Hände nicht zu ihr.
Des Sehnsuchtsbleichen, meine Hände wagten nicht
Zu brechen ohne Furcht der Liebe düstern Mohn,
Gebrannt in die Vergangenheit wie in ihr Haar . . .
- Die Kostbare war da, gebreitet und enthüllt.

 

 

  II.

"A verbis tuis formidavit cor meum . . . "        
Ps. CXVIII.        

Unter der Lampe deine blasse Hand rührt zart
Die Harfe des Schweigens, die zwischen uns steht.
Es ist, als streiften Zärtlichkeiten klangverweht
Mein Ohr, dem sie das Rätsel deines Herzens sagen.
Das Rätsel deines Herzens, das sich heiß verrät:
Deine Vergangenheit; Brokat und vieles Lieben,
Das schimmernd und sehr fern durch deine Augen geht
In. plötzlichem Entzücken ganz vergebens . . .
Und deine Hände, die der Reif belädt,
Damit ein Magier-Prinz sie meinem Kuß gefeit,
Rühren zärtlich verweht die Harfe des Schweigens,
Die wie deine Vergangenheit zwischen uns steht.

 

 

  XV.

"Velatum sub carne . . . "        

Dein Lächeln ist zu hart, zu herb ist dein Gesicht,
Dein Mund zu reif, der Schimmer deiner Haut ist allzu warm,
Zu schwer dein Haupt: es neigt sich. Das Gewicht
Heimlicher Küsse hing, ein Bienenschwarm,
An deiner Lippe brennend, süßer Honig lief . . .
Der Blick auch deiner Augen ist zu tief,
Von Wimpern überhängt, die das Verlangen schlägt;
Voll Eigensinn ist deine Stirn, die das Verlangen regt.
Schließe die Augen! Deine Gegenwart bedroht.
Schließe die Augen! Deiner Lippe Übermut
Entfaltet sich, ein goldner Schmetterling im Morgenrot,
Hält meinen Blick geblendet und erglüht . . .
Schließe die Augen! Deine Lippe ist zu weit erblüht . . .
Sie anzusehen hemmt mich kein Verbot.

 

 

  XXXI.

"Tibi soli peccavi . . . "        
Ps. L.        

So will ich lieben dich, daß deine Brüste schluchzen müssen!
So will ich lieben dich, daß dein Herz schauern muß!
Oh sieh, ich stell Gebärden um dich her -
Ich weiß nicht mehr, ich weiß nicht mehr mit welchem Kuß
Dich küssen: ob mit Blick, Geschlecht, mit Mund -
. . . Vielleicht daß unsre Leiber sich verzehren . . .
. . . Und daß vielleicht dies tausend Jahre sind . . .
Ich weiß nicht mehr, ich weiß nicht mehr, ich weiß nicht mehr.